22.6. – 23.6.: von Liverpool nach Conwy

Am Freitag kommt meine Tochter Melea nach Liverpool. Unser Ziel ist es jetzt, gemeinsam bis Aberystmyth zu reisen. Die erste Etappe soll uns bis Conwy führen. Ich hole Melea bei der Central Station ab.

Beim Weg dorthin entdecke ich ein trauriges Mahnmal, eine von den Deutschen im 2. Weltkrieg ausgebombte Kirche.

Die Kirche ohne Dach wurde als Mahnmal so belassen, wie sie nach dem Bombenangriff der Deutschen stehen geblieben ist.

Beim Festmachen im Hafen am Abend zuvor hat mir ein älterer Herr geholfen. Wir haben uns dann nach den Hafenformalitäten zum Plausch verabredet.

Er segelt seit Jahren zusammen mit einem noch älteren Herren, den er auf einem seiner Navigationsseminare kennen gelernt hat.

Er erklärt mir, wie wir zu welchem Zeitpunkt mehr in Landnähe nach Conwy segeln können. Damit werden wir ca. 10 Seemeilen einsparen und früher außerhalb der Fahrrinne unabhängig von den großen Pötten navigieren können.

An der roten Boje Brasil sollen wir uns portside (Backbord, links, da wo früher die Schiffe entladen wurden, rechts war das Steuer, „Steuerbord“) halten, dann einen Kurs nach Westen einschlagen, bis wir hinter uns eine Kirche zwischen 2 großen Wohngebäuden sehen. Jetzt müssten wir den Kurs so halten, dass die Kirche sich immer zwischen den beiden Gebäuden zeigt.

Eine pragmatische Anweisung, an die wir uns am nächsten Tag halten werden. Den Kurs trage ich parallel hierzu auf der Navigationssoftware ein.

Der Segler erläutert mir außerdem, dass man durch Windenergieanlagen durchaus hindurch segeln darf, sofern sie fertig gestellt sind. Diese Information war für uns sehr wichtig, da zwischen Liverpool und Conwy mehrere Windparks installiert sind.

Wir zahlen beim Hafenmeister unsere letzten Nächte und er verspricht uns, uns zu 6.00 Uhr beim Schleusenwärter anzumelden.

Abschied nehmen von Liverpool am Abend vor unserem 2. Versuch, Liverpool zu verlassen.

Leider kann ich den Schleusenwärter per Funk nicht ansprechen, da er auf Kanal 37 funkt. „For use in uk waters only“, sagt der Reeds Almanach dazu. Ok, ich hätte bei Bundesnetzagentur einen Antrag stellen können, den international nicht abgestimmten Kanal 37 nutzen zu dürfen, um meine England Tour durchzuführen. Mit der erteilten Genehmigung hätte dann ein autorisierter Fachhändler kosfenpflichtig dann den Kanal 37 auf meinem Funkgerät einrichten können. Komplizierter geht es immer.

Wir stehen am Morgen um 4:30 Uhr auf und sind pünktlich um 6:00 Uhr an der Schleuse. Die Schleuse hat eine Ampel und diese steht auf rot. Nach einer viertel Stunde des Wartensvhole ich schon mal das Nebelhorn raus und tröte laut vernehmlich in Richtung Schleusenwärterhäuschen. Da müssen die Anwohner jetzt durch.

Inzwischen hat sich ein privates Rettungsboot zu uns gesellt. Das will auch raus. Und der hat den Kanal 37, nur da nimmt niemand den Funkspruch an.

Im Laufe der Zeit sammeln sich 6 Boote, die alle raus wollen.

Wir müssen bis 8.00 Uhr Ortszeit warten, bis der Schleusenwärter endlich erscheint.

Endlich können wir in den Mersey Fluss zur Weiterfahrt nach Conwy auslaufen.

Mit 2 Stunden Verspätung laufen wir im ablaufenden Wasser raus zur Boje Brasil. Ich hoffe, dass der Wasserstand nach der Boje Brasil noch ausreichend ist. Schließlich sollten wir hier bei Hochwasser durchfahren.

Mit der Navigationshilfe der beiden Segler aus dem Hafen können wir gut Kurs halten. Eine Windparkanlage müssen wir kreuzen, aber wir müssen nicht durch ein Verkehrstrennungsgebiet, was uns die Tour erleichtert.

Wir melden uns telefonisch beim Hafenmeister in Conwy an und bekommen vorab einen Liegeplatz zugewiesen.

Gegen 19.00 Uhr erreichen wir Conwy. Wir können noch einen Spaziergang in die Altstadt machen und dort beim Italiener einkehren, der mit einem Superteam ein gutes Essen liefert.

Die Marina von Conwy.

Wir entscheiden uns, den Folgetag auch hier zu bleiben und den Ort und die Umgebung noch zu genießen.

Palmen hatte ich in Wales nicht erwartet. 

Wir wollen uns auf die Weiterreise optimal vorbereiten, aber auch einen schönen Spaziergang im angrenzenden Naturschutzgebiet Snodonia unternehmen.

Blühende Heide an den meernahen Bergen.

Für die Weiterreise gibt es zwei Optionen: um Anglesie herum segeln oder durch die Menai Straits und durch die Swellies durchfahren.

Die Fahrt außen rum dauert einen Tag länger und ist vermutlich schaukliger als die Fahrt durch den Kanal. Meine Tochter Melea mag das SChaukeln gar nicht.

Bei der Fahrt durch den Kanal gilt es allerdings die Swellies zu meistern.

Wir entscheiden uns für die Fahrt durch die Menai Straits. Zur Vorbereitung laufe ich mir das hierzu empfohlene Standardbuch „Cruising Anglessey and adjoining waters“ von Ralph Morris. Hier sind die Swellies sehr anschaulich erklärt und die Passage ist detailliert beschrieben.

Im Wesentlichen kommt es auf das richtige Timing an.

Die Swellies sind eine 2 Kilometer lange Teilstrecke der Menai Straits, an der sich die außen um Anglesey laufende Flutwelle mit der einlaufenden Flutwelle durch den kürzeren Kanal begegnet. Dann wandelt sich der Kanal in brodelndes Wasser mit starken Strömungen.

Beim richtigen Timing erwischt man das Slackwater, also das Stauwasser, was zwischen Ebbe und Flut die Strömung sozusagen zum Erliegen bringt. Zu diesem Zeitpunkt kann man also ruhig durch die Swellies fahren.

Mit diesem frisch angeeignetem Wissen bereite ich den morgigen Tag vor.

Die Wassersperre in Convy öffnet um um 5:44 Uhr, das Hochwasser in Liverpool ist um 9:14 Uhr, und 2 Stunden vorher (so sagt das schlaue Buch) ist Highwaterslack an der Menai Bridge, dem Beginn der Swellies, also um 7:14 Uhr. Der Hafenmeister bestätigt mir nochmal das Timing.

Am Abend gebe ich den Kurs (wiedrum nur bei Hochwasser fahrbar) zwischen Conwy und der Menai Bridge in das Navigationssystem ein. Dann geht es ab in die Koje.

24.6.: von Conwy nach Porth-Dinllaen

Pünktlich um 5:45 Uhr sind wir bereit, den Hafen von Convy zu verlassen. Das Hafentor hat bereits automatisch geöffnet.

Sonnenaufgang zwischen Convy und Bangor.

Wir nehmen Kurs auf die Menai Bridge und nutzen die kürzere Verbindung über den Pennmaen Swatch, eine Verbindung, die bei Hochwasser durch kleinere Schiffe befahrbar ist.

Früh am Morgen auf der Fahrt in Richtung Menai Bridge.

Für 9:11 Uhr hatte ich mir im Logbuch notiert: Hochwasser in Conwy.

Soviele Zahlen und Uhrzeiten. Wir kommen auch vor 9:11 Uhr vor der Menai Bridge an. Merkwürdig ist allerdings, dass keiner mit uns zeitgleich die Durchfahrt antreten will.

Bei der Einfahrt in die Menai strait.

Ich schaue nochmal ins Logbuch: Highwaterslack Menaibridge 7:14 Uhr! Ich habe mich an der falschen Zeit orientiert. Wir haben den optimalen Zeitpunkt der Durchfahrt durch die Swellies verpasst! Wir hätten 2 Stunden früher hier sein müssen, und das hätten wir gar nicht erreichen können, da die Strecke zwischen Convy und Menai Bridge mindestens 10 Seemeilen beträgt und unser Schiff auf Touren durchschnittlich 4-5 Seemeilen pro Stunde zurück legt.

Trotz intensiver Vorbereitung hat mir hier die Psyche einen Strich durch die Rechnerei gemacht. Ich bin schockiert. Bei den vielen Daten hat sie sich einfach das passendste Datum herausgesucht. Wird schon passen. Passt aber nicht.

Timing ist das Wichtigste bei der Passage durch die Swellies. Also brechen wir ab. Aber was tun? Außen um Anglesey herum fahren? Warten auf die Flut am Abend?

Wir entscheiden uns für das Warten, was letztendlich schneller geht, als einmal um die Insel herum zu fahren.

Bloß wo sollen wir warten? Wenn wir schon 10 Stunden warten müssen, dann bitte in einem Hafen, damit am Tag wenigstens an Land was Neues entdecken können.

Bangor bietet sich an und ist nur wenige Meilen vor der Menaibridge.

Wir laufen dort bei Flut ein und stoppen an der Hafenkaimauer. Heute ist Sonntag, und in diesem kleinen Fischereihafen ist jetzt kein Hafenmeister zu erreichen.

Ich treffe einige Hobbyisten, die an ihren Booten rumschrauben und der Dritte gibt mir den Tipp, wo wir uns mit dem Boot hinlegen können. Der Hafen fällt bei Flut trocken und jetzt liegen wir an der Seite der großen Fischereiboote. Eventuell ist hier der Untergrund nicht nur schlammig sondern auch steinig und fest, was unserem Boot nicht gut tun könnte. Wir sollen die Hafenseite wechseln und in einer Lücke 2 Bootslängen vor seinem Boot festmachen. Diese Lücke wir ansonsten benutzt, um Boote per Kran ins Wasser zu bringen und das wird heute am Sonntag nicht stattfinden.

Unser Liegeplatz in Bangor im Hafen.

Wir sind froh, als das Schiff vertaut ist und verabreden uns, uns später in der Stadt zu treffen. Ich warte noch, bis sich das Schiff einigermaßen gesetzt hat. Gelegentlich muss Tau nachgelassen werden, damit das Schiff nicht irgendwann an der Kaimauer hängt. Würde es natürlich nicht, aber die Befestigungspunkt für die Festmacherleinen würden wahrscheinlich rausreissen.

Zwischenzeitlich spreche ich mit unserem nahen Segelnachbarn, der uns den Tipp zur richtigen Position gegeben hat.

Die Swellies wären gar kein großes Problem. Er fährt da auch bei Flut durch. 4 Knoten Strömung zuzüglich 6 Knoten seines Motors, das würde da richtig duchrauschen. Mag sein, aber wir als Novizen werden mal brav auf das Slackwater warten.

Am frühen Nachmittag sitzen wir zum Essen in einer Kneipe. Ich bestelle ein Sunday Roast, Fleisch mit Soße, Gemüse, Kartoffelbrei und weiteren kohlenhydrathaltigen für mich nicht identifizierbaren Zutaten. Es läuft gerade das WM Fußballspiel England gegen Panama. England verwandelt gerade krachend einen Elfmeter. Ich wähle England zu meinem Favoriten für diese WM.

Der Sunday Roast ist ein tippisches brittisches Sonntagsessen, vergleichbar mit unserem Sonntagsbraten. Quantität und Qualität verhalten sich umgekehrt proportional. Das genaue Gegenstück zur nouvelle cuisine.

Warten auf das Wasser.

Wir unternehmen noch einen Stadtspaziergang und verabreden uns, uns später am Boot zu treffen.

Als ich am Boot ankomme, steht dieses angelehnt zur Hafenmauer im Schlamm.

Zero steckt im Schlamm. Soweit ok, aber hält das Ruderblatt?

Das Ruderblatt steckt auch im Schlamm. Hoffentlich bricht es nicht einfach ab. Ich traue mich nicht auf das Schiff. Melea kommt kurze Zeit später. Wir beschließen, noch einen ausführlichen Spaziergang zu machen, bis das Wasser zurück kommt.

Irgendwie fühlen wir uns ausgeschlossen von unserem Boot. Das Katz- und Mausspiel mit dem Wasser geht mir mitunter ziemlich auf die Nerven. Immer ist das Wasser da, wo man es gerade nicht braucht. Es kommt von vorne und verlangsamt die Fahrt. Es ist abwesend und du wartest vor einer Schleuse oder einer Hafeneinfahrt. Du steckst mit dem Boot in einer Hafeneinfahrt fest, sitzt im Schlamm und das Wasser lässt auf sich warten. Ich liebe die Ostsee. Du steigst in dein Boot ein, wenn du ausgeschlafen bist und fährst einfach los! Keinen Wecker auf 4:30 Uhr stellen, einfach irgendwann losfahren und irgendwann ankommen.

Aber hier spielt die Zeit, das Timing eine entscheidende Rolle. Der falsche Zeitpunkt, die falsche Ortsreferenz und du steckst im Schlamm.

Irgendwann kommt auch in Bangor das Wasser zurück.

Um 19.00 Uhr ist es dann soweit: Leinen los und Motor an. Endlich geht es in Richtung Menai Bridge los.

Auf dem Weg zu den Swellies.

Ich bin schon etwas aufgeregt, lese nochmal dis textliche Beschreibung der Durchfahrt und stelle beim Kartentablet die richtige Auflösung ein.

Hinter uns kommt ein weiterer Segler in Richtung Swellies. Gerne lassen wir ihn passieren und sind recht froh, dass dies unser Segelnachbar aus dem Hafen von Bangor ist. Nun kann nichts mehr schief gehen.

Menai Bridge
Die lang erwartete Menai Bridge.

Diesesmal haben wir genau den richtigen Zeitpunkt erwischt. Wir passieren um 19:45 Uhr die Brücke. Die genaue Passage lässt sich auch am Navigationstablet ablesen.

In der Passage der Swellies.

Im Grunde ist die Passage zum richtigen Zeitpunkt harmlos. Links und rechts gibt es ein paar Untiefen, das zeigt schon das Navigationstablet an.

Aufzeichnungen und Handbücher zu den Swellies.

War der Aufwand für die Vorbereitung jetzt übertrieben? Die wichtigste Message für das eher harmlose Passieren der Swellies ist wohl, das Timing sollte stimmen.

Wir wollen am späten Abend noch zur Bucht von Porth-Dinllaen kommen. Die Bucht ist geschützt, man kann dort ankern und es gibt einige Mooringe. Außerdem eröffnet uns das die Option, am Folgetag  unsere Etappenziel Aberystwyth zu erreichen.

Nach den Swellies ist die Durchfahrt landschaftlich sehr reizvoll.

Am Abend kommt noch etwas Thermik auf, die wir zum Segeln nutzen.

Eine wunderschöne Abendstimmung auf der Fahrt zur Bucht Porth-Dinllaen.

Der Abend ist sommerlich. Was für ein Unterschied zu den kalten Nächten im Nordosten der Insel!

In Porth-Dinllaen finden wir zu unserem Glück kurz nach Mitternacht eine Mooring. So entfällt morgen das Lichten des Ankers.