10. Tag: Wunden lecken, Körper restaurieren und Reparaturarbeiten

Nach den Strapazen der letzten drei Tage benötigen wir dringend Zeit, unsere Körper und unseren Geist  zu restaurieren. Lange Schlafen, Duschen, Rasieren, etwas Faulenzen, hierfür ist Terschelling ein geeigneter Ort.

Der Hafen ist klasse. Ein Preis für alles. 20 Euro für das Schiff. Strom und Duschen selbstverständlich inklusive. „Was kostet die Waschmaschine?“ „Wieso, Sie haben doch schon bezahlt. Ist inklusive.“

2 Waschmaschinen arbeiten für uns. Selbstverständlich ist auch das anti-allergische sensitive Waschmittel inklusive, das automatisch in die Industriemaschinen eingespeist wird.

Natürlich ist auch der Trockner inklusive. Eine sehr nette Hafenmeisterin weist uns in die Hafen Gewohnheiten ein.

Hinter dem Ganzen muss ein Konzept stehen. In den Duschen sind die stillgelegten Einwurfschlitze für die Duschmarken noch sichtbar. Ein sehr angenehmer Kontrast zu den Automatenhafenmeistern in Dänemark, wo jede Kilowattstunde verbrauchter Strom und jede Duschnutzung von einer zuvor aufgeladenen Chipkarte abgebucht werden.

Hier bekommt die Hafenanlage etwas soziales. Sie wird zum Gemeinwesen, das sich alle irgendwie teilen. Vielleicht  wurden die Kosten für die zuvor benutzten Systeme wie Kartenleser, Energieverbrauchsleser, Kassensysteme, Softwaresysteme zur Abrechnung, zur Zahlung per Kreditkarte sowie die Kosten für die Zerstörung oder ggf. unverantwortete Beschädigung fremd gewordener Gegenstände zu hoch. Einfach geht doch auch und erhöht die soziale Bindung untereinander.

Das ausgiebige Duschen genießen wir nach den anstrengenden Tagen.

Nach Rasur und Dusche komme ich mir wieder bekannt vor.
Was fehlt auf diesem Bild? Ja genau, die Gardinen. Diese waschen wir gleich mit.

Nutzen wir diese Infrastruktur aus, wenn wir gleich die Gardinen des Schiffes mitwaschen? Jedenfalls sind wir begeistert von diesem Hafen.

Nach drei Nächten ist so einiges feucht geworden, was jetzt in der Sonne gut trocknen kann.

Nach einer Woche Schiffsreise ist eine Grundreinigung des Schiffes erforderlich.

Ralf reinigt den Teppich aus dem Salon.

Wie haben heute noch einen traurigen Termin vor uns: eine Beerdigung. Unser willkommener Fahrgast, der verzupfte Vogel hat leider die Fahrt mit uns Riesen nicht überstanden. Der Vogel hatte sich unter der Fußmatte am Niedergang versteckt. Wir haben ihn beim nächtlichen Runterlaufen während der komplizierten Einfahrt dort nicht wahrgenommen. Es ist sehr traurig, ich weiß aber auch nicht, wie wir diesen Vorfall hätten vermeiden können.

Die letzte Ruhestätte für unseren mitgereisten Vogel.

Folgende Dinge am Schiff wurden in Mitleidenschaft gezogen, sind ausgefallen und müssen ggf. ersetzt werden:

– der alte Plotter als Parallelbetrieb zum modernen tablet hat seinen Betrieb eingestellt

– das ältere tablet arbeit nicht mehr zuverlässig. Zeitweise lässt es sich nicht mehr laden. Das tablet war auch als Fallback für elektronische Seekartennavigation vorgesehem

– eine Klampe für das Fixieren der eingerollten Rollfock hat uns in einer kritischen Situation im Stich gelassen. Die mühsam eingerollte Rollfock rollte sich wieder aus, da die Schot durch die Klampe durchgerutscht ist.

Die zwei Flügel dieser Klampe drücken mit Federdruck gegen das durchgeführte Seil der Rollfock. Der Zug des Seils zieht die Flügel enger an, sodass das Seil nicht weiter rutschen kann. Wenn es denn funktioniert.

– die Positionsleuchte vorne funktioniert nicht mehr. Später stellt sich raus, das das Kabel irgendwo unterbrochen sein muss. Das muss dringend wenigstens provisorisch repariert werden, um nachts von anderen Schiffen besser gesehen werden zu können (sie Positionslampe vorne ist zweifarbig, rot und grün, sodass andere Schiffe daran erkennen können, in welche Richtung das Schiff fährt.)

Für die kaputte Klampe beschaffen wir Ersatz. Der Modeladen um die Ecke hat einige Schiffsartikel, so auch Elektrokabel. Zeitnah wollen wir eine provisorische Lösung für die nicht leuchtende Lampe erstellen. Als Backup für elektronische Systeme werden wir zukünftig wieder papierhafte Karten einsetzen. Die ersten bekommen wir auch im Mode/Segelladen um die Ecke.

Aber wann geht es weiter in Richtung England? Und welche Strecke werden wir nehmen? Das soll spätestens morgen beim Frühstück geklärt werden.

12. -13. Tag: von Makkum nach Ijmuiden

Makkum liegt am nördlichen Rand des Ijsselmeeres. Ijmuiden hat eine Schleuse zwischen Nordsee und Nordseekanal, der durch Amsterdam fließt.

Am Morgen erledigen wir noch einige notwendige kleinere Reparaturen am Schiff.

Die Reffleine hat an einer Klampe neuen Halt gefunden.
Die Positionslampe vorne bekommt provisorisch jetzt ihren Strom von der Zuleitung zum Licht in der Nasszelle im Bad.

Ab Makkum haben wir eine Rauschefahrt gen Süden mit Winden Anfangs zwischen 4 und 5 Beaufort, später 6 bis 7, mit Böen 8 Windstärken. Wir brauchen nur eine Handtuchgröße der zusammen gerollten Genua, um mit 5-6 Knoten pro Stunde gen Süden zu rauschen.

Die Wellen sind hinter dem Abschlussdeich, also bei Makkum klein, da ihr Weg erst hier beginnt. Vor dem nächsten Deich, der das Ijsselmeer vom Markermeer trennt, sind sie steil und hochfrequent, kabbelig, typisch für das Ijsselmeer, um nach dem Deich sich wieder von 0 aus zu entwickeln.

Die Wellen haben sich bis Horn ganz schön aufgebaut.
Hier zeigt der Windmesser (kaum lesbar unten in digitaler Anzeige) 8 Beaufort Windgeschwindigkeit. Für die Nordsee gibt die Küstenwache eine Sturmwarnung aus.

Wir stoppen wir die Übernachtung in Horn, einer ehemals sehr reichen Stadt. Hiervon zeugen etliche Bauwerke, die heute topp saniert sind.

Viele Gebäude in Horn zeugen von einer vergangenen Periode großen Reichtums.
Ein Fischreiher sucht Fischreste auf einem Fischtrawler im Hafen.

Am nächsten Tag geht es von Horn aus über Amsterdam bis nach Ijmuiden in den Yachthafen auf der Nordseeseite.

Ein wunderschöner Leuchtturm auf dem Weg nach Amsterdam.
Was auf den ersten Blick aussieht wie Schornsteine sind die Füße einer Arbeitsplattform, die in der Nordsee eingesetzt wird. Die Instandhaltung erfolgt in einem Industriebereich an Amsterdam angrenzend.
Am Abend warten wir vor der Schleuse in Ijmuiden auf die Schleusung in die Nordsee.

Morgen früh wollen wir um 5.00 Uhr in Richtung England starten. Die Wetterbedingungen hierzu sind akzeptabel. Wir rechnen mit einem längeren Törn von 1-3 Tagen, je nach Verlauf.

20.5. – 24.5.: Grimsby

Nach der anstrengenden Überfahrt müssen wir uns erst einmal erholen und einige Dinge an Bord reparieren. Aber zunächst einmal wollen wir Grimsby erkunden.

Grimsby wurde von einem dänischen Fischer gegründet und entwickelte sich bis in die 30ger Jahre zum größten Hafen von England. Bis in die 60ger Jahre konnte man den Hafen von Fischerboot zu Fischerboot überqueren. Doch der Hafen bzw. der Zufluss Humber neigt zur Versandung und der Hafen ist nur tidenabhängig zu erreichen. Den Niedergang beschleunigten ab den 60ger Jahren die „Kabeljaukriege“, in denen Island seine Fischereigrenzen von ursprünglich 3 Seemeilen stufenweise auf 200  Seemeilen vergrößerte. Grimsby verlor dadurch wichtige Fanggebiete.

Verfallende Fabrikgebäude geben Zeugnis einer anderen Epoche von Grimsby.

Inzwischen liegt die Hafeninfrastruktur ziemlich danieder. Die Stadt kommt mit dem Rückbau nicht hinterher. Ganze Straßenzüge des alten Grimsby warten auf die Abrissbirne.

Industrieromantik verklärt diesen vollzogenen Niedergang. Erhalten geblieben ist fischverarbeitende Nahrungsindustrie. Nebenan gibt es aus der Fabrik einen Detailverkauf von gefrorenem Lachs – aber weder hier noch sonstwo in der Umgebung der Marina finde ich fish & ships. Die wären jetzt bald mal dran für mich als Englandtouristen.

Im Kontrast zum traurigen Stadtbild sind die Menschen, denen wir begegnen sehr nett und vor allem hilfsbereit. Reichtum und Hilfsbereitschaft sind ja oft umgekehrt proportional.

Da ist zunächst einmal John, der Hafenmeister, der uns hilft wo immer wir es nötig haben. Ralf wird bald zurückreisen und John bietet an, ihn zum Bahnhof zu bringen. „No problem!“

Zunächst einmal müssen wir uns noch um das Schiff kümmern. Der Keilriemen quietscht beim Start schon seit Tagen länger, als ich es erwartet habe. Schließlich hatte ich vor der Reise den Keilriemen vorsorglich erneuert. Dabei habe ich mir Mühe gegeben, den Riemen ordentlich zu spannen.

Beim Austausch des Keilriemens habe ich es beim Spannen des Riemens wohl übertrieben.

Leider wohl etwas zu bemüht. Jedenfalls ist die Spannvorrichtung gebrochen, eine Befestigungsschraube der Lichtmaschine hat sich gelöst und diese hängt nur noch an einer Schraube und am Keilriemen selbst.

Ich bau das defekte Teil aus und bitte John um Rat. „Go to Harris and Garrod. They may help you.“ Von Ralf hatte ich mich vorsorglich bereits verabschiedet, da ich eher damit rechne, von Pontius zu Pilatus geschickt zu werden.

Die Werkstatt Harris  and Garrot ist gleich um die Ecke. Ich weiß nicht, ob die das Teil neu bestellen oder vielleicht reparieren können.

Beim Eintreten ins Büro erkläre ich kurz mein Problem und zeige das defekte Teil. „No problem, I will do it now.“ sagt Harris oder Garrot. Ich kann mir so schlecht Namen merken.

Die Soundanlage ist das spirituelle Zentrum des Betriebes.

Die Werkstatt ist Lebensort. Wohl über 100 Jahre alt. Ein deutscher Arbeitsschutzprüfer würde hier einen Herzinfarkt zum Opfer fallen. Zentraler Punkt ist eine Musikanlage, aus der Rockmusik trötet. Die Maschinen wirken alt aber funktionstüchtig. Die Menschen vermitteln den Eindruck, als würden sie gerne hier arbeiten.

Haroris oder Garrot beim Schweißen des gebrochenen Keilriemenspanners.

Selbstverständlich komme ich mit und darf Zeuge werden, wie das Kleinteil geschliffen, gerichtet, geklammert und geschweißt wird.  Dann nochmal kurz ein Endschliff – nach 10 Minuten habe ich eine professionell reparierte Aluminium Schiene für die Lichtmaschine in der Hand.

Funktionierendes Chaos bei der Werkbank.

Das Ganze soll dann auch nichts kosten – gerne spende ich hier für die Kaffeekasse. Es ging so schnell, dass ich Ralf zum Bahnhof begleite. Natürlich will John kein Geld von uns für diesen Service. Es ist eigentlich kein Service – ein Austausch einer Dienstleistung gegen Geld, sondern eine Hilfe, die gerne gegeben wird.

Schon nach 30 Minuten bin ich wieder am Schiff – glücklich dieses Problem gelöst zu haben. Ich kann Ralf noch bis zum Bahnhof begleiten. Sollen wir ein Taxi bestllen? „No problem, I will bring you to the station.“ Sagt John. Geld dürfen wir ihm nicht dafür geben.