18.5. -20.5.: von Ijmuiden nach Grimsby

Unsere 2. Chance, England zu erreichen, hat ganz gute Voraussetzungen:

  • wir wissen jetzt um die Belastungen solch einer Tour
  • der Wind kommt von Nord, damit müssten wir ganz gut zurecht kommen.

Wir stehen früh auf, da wir noch von der Strömung des ablaufenden Wassers profitieren wollen. Um 7:00 Uhr heisst es: Leinen los!

Auf dem Weg nach England – von Ijmuiden nach Grimsby

Noch im Hafenbecken setzen wir die Segel. Zügig geht es voran.

Wir haben während der Vorbereitung zwei Routen auf dem tablet hinterlegt:

  • Eine möglichst kurze Route bis Lowestoft, etwa in 24 Stunden zu erreichen
  • Eine bis Scarborough, unser ursprüngliches Ziel, in etwa 48 Stunden zu erreichen.

Wir wollen zunächst sehen, welchen Kurs wir halten können und uns dann auf ein Ziel festlegen.

Da das Boot gut läuft und da ich gerne meinem Ziel im Richtung Norden näher kommen will, entscheiden wir uns bald, möglichst Scarborough zu erreichen. Das ist zwar etwas knapp, da wir recht hart am Wind segeln müssen, aber der nächste Mitsegler hat bereits Scarborough als Ziel für einen Crewwechsel eingeplant.

Der Abend kommt und die Temperaturen sinken mal wieder auf gefühlte 5 Grad. Ich habe mich dieses Mal dicker eingepackt, um nicht wieder kalt zu werden:

Unterwäsche, Medina Nierengurt, darüber ein Baumwollhemd, einen Wolltroya, eine Baumwolljacke und ein Fließ, dann die Offshore Jacke. Über die Unterhose ziehe ich eine flexible Baumwollhose an, darüber eine weitere Baumwollhose und darüber dann die Offshore Seglerhose. Für die Gummistiefel habe ich ein paar dicke Socken, die ich anziehe.

Im Grunde ziehe ich alles übereinander an, was ich dabei habe. Ralf leiht mir freundlicherweise eine paar einigermaßen dicke Handschuhe, auf die er verzichten konnte. Vielen Dank.

Aber leider reichen diese Maßnahmen nicht aus: es ist zwar schon wärmer als bei der erstem Tour, aber ich kühle immer noch aus. Ich habe nicht die geeigneten Klamotten dabei. Zukünftig muss ich mich doch noch besser beraten lassen. Ich fühle mich wie in einem Kühlschrank. Vor allem die Füße werden nicht mehr warm. Der Kreislauf beschränkt sich darauf, die inneren Organe zu versorgen. Mir wird flau im Magen und kurze Zeit später kann ich trotz Reisetabletten es nicht verhindern, dass ich meinen Magen entleeren muss.

In dieser Nacht steht meistens Ralf an der Pinne.

In voller Montur ausspannen und dösen – bis um Ablösung gebeten wird.

Bei mir machen sich Zweifel breit: warum tue ich mir das an? Flaues Gefühl im Magen, kalte Hände und Füße, 2 Tage die gleichen Klamotten an, inzwischen meldet sich auch mein Rücken und sagt: nehm bitte mehr Rücksicht auf mich. Und der Tennisarm ist das Kurbeln an der Winsch satt.

Wir haben ja Funk an Board. Der ist bei solchen Fahrten auch grundsätzlich an. Irgendwann kam eine Meldung „The sailing vessel in position xyz please reply.“ In welcher Position? Die Positionsangabe hatte ich nicht genau verstanden. Wir wissen, dass noch ein anderer Segler mit uns unterwegs ist. Bestimmt ist der gemeint. Falls nochmals eine Durchsage kommt, passen wir genauer auf. Tatsächlich meldet sich die Küstenwache kurze Zeit später wieder mit „The sailing vessel in position …“. Dieses Mal sind wir aufmerksamer und schreiben die Positionsangabe mit. Huch – da sind wir ja gemeint! Das ist unsere Position!

Nun wissen wir zwar theoretisch, wie solch ein Dialog strukturiert ist, aber praktisch haben wir beide so gut wie keine Erfahrung. Wie war das noch? Ok, ich greife zum Mikrofon und drücke auf die Sprechtaste:

„This is Zero, Zero, Zero. We are a sailing vesselfro m germany in the position xyz.“

Die Küstenfunkstelle fordert uns auf, vom Notrufkanal 16 zu wechseln auf den Kanal 63, ein normaler Vorgang, um den Notrufkanal freizuhalten. Es entspannt sich dann etwa folgender Dialog:

„Please change to channel 63“. „Ok, channel 63“. Wir wechseln am Funkgerät zum Kanal 63.

„Do you hae AIS or radar?“ „We use AIS, no radar.“ „Do you see the trawler to your harbour side?“ Ja, das Schiff beobachten wir schon seit geraumer Zeit, es ist ein Schlepper, der sich kaum von der Stelle bewegt und noch ca. 1 Seemeile von uns entfernt ist. „Yes, we can see the trawler.“ „Could you please leave this area to the North?“ „Yes, we will leave this area to the North.“ Wenn die Küstenwache denn meint, werden wir das wohl tun müssen.

Nun entwickeln sich ein spannender Kurswechsel, der uns arg in Anspruch nimmt. Zunächst wechseln wir den Kurs in Richtung Norden. Plötzlich beginnt der zuvor dümpelnde Schlepper Fahrt aufzunehmen uns zwar ebenfalls in Richtung Norden. Vorweg können wir unmöglich vorbei ziehen, wenn der seine 3000 PS aufdreht, bleiben wir auf der Strecke. Wir beschließen, langsam hinter dem Schlepper hinterher zu fahren, vermindern die Fahrt und steuern auf das Heck des Trawlers zu, also kurzzeitig wieder etwas südlich. Was macht der Trawler? Der ändert ebenfalls seinen Kurs in Richtung Süden. Wir ändern jetzt den Kurs in Richtung Osten, um Abstand zu gewinnen.  Der Trawler scheint uns zu verfolgen. Jedenfalls hat der keine Kundschaft, die er hinter sich herzieht.

Beim genaueren Studium der elektronischen Seekarte sehen wir jetzt 6 Tonnen, drei Gelbe im Süden und 3 Gelb-Schwarze im Norden. Das scheint hier ein für Schlepper reserviertes Gebiet zu sein. Die warten hier auf  Kundschaft. Wir wollen nur noch so schnell wie möglich aus diesem Gebiet heraus und ändern unseren Kurs nochmals in Richtung Norden. Wie erwartet, zieht der Schlepper hinterher. Der bewacht sein Revier! Bis zur durch die Tonnen markierten Grenze scheint uns der Schlepper zu verfolgen. Zum Glück bleibt der Wachhund in seinem Revier.

Eben noch eine Nebelsuppe, dann plötzlich ein freundlicher Sonnenaufgang bei glatter See.

Das Wetter auf dieser Tour wechselt mitunter ganz plötzlich. War es eben noch eine sternenklare Nacht, ist es plötzlich eine nasskalte neblige Suppe, in der man keine 30 Meter weit schauen kann. Das Meer ist ebenfalls launisch. Wurden wir gerade noch durch Nordseewellen hin und her geschwenkt, ist das Meer kurze Zeit später spiegelglatt.

Wir wägen nochmal mögliche Ziele ab. Nach Scarborough sind es noch ca. 60 Seeemeilen, nach Grimsby nur noch ca. 30 Seemeilen. Das sind 6 Stunden weniger Knatterzeit unter Motor als bis Scarborough durchzufahren. Die Entscheidung ist schnell getroffen. Wir timen unsere Ankunftszeit etwa 2 Stunden vor dem Hochwasser, da dann das Gate in Grimsby geöffnet ist und wir in den Hafen gebührenfrei einfahren können. In der 3ten Stunde vor und nach dem Hochwasser ist eine Schleusungsgebühr in Höhe von 10 Pfund fällig. Wir verringern unsere Geschwindigkeit, um möglichst punktgenau in Grimsby anzukommen.

Schließlich sind wir dann doch ca. 1 Stunde vor dem Plan im Humber river vor Grimsby.

Das rote Tonnenschiff markiert deutlich die Hafeneinfahrt von Grimsby

Wir melden uns beim Schleusenwärter per Funk und der will uns gegen 7:00 Uhr schleusen.

Pünktlich um 7:00 Uhr laufen wir in die Schleuse ein. Der Schleusenwärter wirft uns Festmacher zu, damit wir das Boot in der kleinen Schleuse von den Toren abhalten können. Schließlich öffnet sich das innere Tor. Beim Herausfahren gestikuliert der Schleusenwärter, in welche Richtung es zur Marina geht.

Dort werden wir gleich vom Hafenmeister freundlich empfangen, der uns zum Besuchersteg weiter leitet. Wir sind glücklich, als wir um 7:15 Uhr festgemacht haben. Nur noch einige Formalitäten beim Hafenmeister erledigen und dann können wir endlich schlafen.

1.6. -2.6.: von Eyemouth nach Peterhead

In Eyemouth haben wir den Hafenmeister noch mal gebeten, die Sperrung des Forth and Clyde Canals zu verifizieren. Im Internet ist die mir mitgeteilte Störung immer noch nicht kommuniziert. An der angegebenen Telefonnummer erreicht er über Stunden niemanden.

Als wir zahlen wollen, versucht er, über einen anderen Kanal an Informationen zu gelangen. Der Kanal sei gesperrt, es seien zwei Brücken defekt, teilt es uns schließlich mit. Eine ungewöhnliche Form der Kommunikation, solch eine Information nicht über das Netz zu verbreiten.

Bei der Abreise produzieren wir schnell noch mal Hafenkino. Das Auslaufen wird bei Niedrigwasser zum Auflaufen. Und zwar mitten auf dem Fahrwasser. „Left, left, there it’s deeper.“ Ja gut, hätte ich auch gerne vorher gewusst.

Wir lassen noch einen größeren Katamaran vorbei, der eine Tauchgruppe an Bord hat. Das Wasser strömt zum Meer. Und wir liegen auf einer Sandbank. Trotz voller Schubkraft bewegt sich das Schiff kein Stück. Die ausgediente Fantadose am Grund des Wassers bewegt sich auch nicht.

Die Fischer im Katamaran nebenan sind auffällig gut gelaunt. Eis schleckende Familien gucken von oben auf unser Schiff. Gestikulierende verrentete Segler geben ihre Kommentare. Und wir machen den Motor aus. Das Wasser wird wieder kommen.

Der Film dauert über einer Stunde und jetzt heißt es, nur noch schnell tanken und dann kann es schon losgehen. Nur noch die 10 m hohe Leiter an der Kaimauer hochklettern, naja, es wachsen auch unten kaum scharfkantige Muscheln an der Leiter und der Grünbelag geht sicher wieder ab von den Händen.

Oben angekommen treffe ich unsren Hafenmeister wieder, der mit dem Fahrrad von seinem Büro ums Hafenbecken geeilt ist, um die Tankstelle zu bedienen. Also die Leiter wieder runter klettern, der Hafenmeister lässt die Zapfpistole vorsichtig am Schlauch runter und es tropft auch nur ganz wenig Dieselrest aus dem Schlauch. Dann wieder hochklettern, im Hafenbüro zahlen und eine Erklärung unterschreiben, dass man den steuerreduzierten rot eingefärbten Diesel auch bitte nur auf dem Wasser verbraucht. Den Diesel wieder abzusaugen und in ein Auto umzufüllen wäre Steuerhinterziehung und das wollen wir ja nicht.

Dann geht es endlich los.

Heute ist ein besonderer Tag in Nordengland.  Es ist sommerlich, kein Regen und kein Nebel, die Sonne scheint durch den leichten Dunst. Es windet auch kaum, sodass wir wieder mal den Motor anstellen dürfen. Wenn wir anlegen, werden wir 25 Motorstunden auf der Uhr haben.

Wir genießen die Sonne und freuen uns über warme Füße. Die hatte ich bisher eher selten. Unser elektrischer Steuermann kommt wie jeden Tag zum Einsatz und wir haben Zeit zur Muße.

Konzert für die Fische.

Wir stellen uns auf eine längere Tour ein, irgendwann müssen wir auch Seemeilen reißen, um die weiten Entfernungen zu überwinden. Auf jeden Fall wollen wir heute die Bucht vor Edinbourgh überqueren.

Der erste Hafen, den wir anlaufen können, ist Arbroath. Es ist bereits dunkel, als wir einlaufen wollen.

So wie der Tag gestartet ist, scheint er auch zuende gehen zu wollen. Im Schlamm. Richtig, wir sitzen mal wieder fest. Das Wasser läuft zwar gerade wieder auf, aber dieses Mal sind wir zu schnell gewesen. Wir müssten ca. noch 1,5 Stunden warten, um in die Hafeneinfahrt rein zu kommen. Die Zeit können wir doch besser zum Weiterfahren nutzen.

Unter Motor wühlen wir uns wieder aus der Hafeneinfahrt raus. Wir hatten bereits die Überlegung, in den nächsten Tagen eine Nacht durchzufahren, um schneller voran zu kommen. Dann ist das eben heute die Generalprobe. Einer muss sich unten entspannen können, während der andere oben den Überblick behält.

Schnell ist unten der Salon zur Nachtkoje umgebaut.

Während Rolf L. das Ausruhen probiert, halte ich Kurs auf Montrose, dem nächst gelegenen Hafen. Ordnungsgemäß melde ich mich per Funk bei der Hafenaufsicht an und bitte um Zugang, um im Hafen, der auch beim Reeds aufgeführt ist, zu übernachten. „Sorry, thats not possible, we are a commercial port and we have ship movements and can’t offer you a berth.“ Das ist der zweite Hafen, bei dem wir keinen Liegeplatz finden.

Der nächste brauchbare Hafen scheint Aberdeen zu sein. Dann müssen wir die Nachttour also schon heute durchführen. Die Generalprobe wird zur Lifeperformance. Die Bedingungen stimmen, der Himmel ist klar und wir laufen unter Motor, da der Wind für unser Ziel nicht zu gebrauchen ist. Alles gut unter Kontrolle zu halten, sofern der Motor durchhält.

In der Morgendämmerung auf den Weg nach Aberdeen.

Die Nacht verläuft gut und wir wechseln nach 4 Stunden die Rollen. So finden wir beide unsere Entspannungsphasen.

Am Morgen erreichen wir Aberdeen. Dieses Mal melden wir uns zunächst nicht bei der Hafenaufsicht. Plötzlich erfolgt auf dem Notrufkanal ein Aufruf an ein Segelschiff in Hafennähe zu Aberdeen, sich mit der Hafenaufsicht in Verbindung zu setzen. Da sind wohl wir gemeint.

„We are a commercial port and you are not allowed to enter the harbour.“ Der dritte Hafen, der uns nicht haben will.

Zwangsläufig kommen wir jetzt dazu, Seemeilen zurück zu legen.

Auch tagsüber hat jeder mal seine Ruhephase.

Am Ende des 2. Tages legen wir gegen 16.30 Ortszeit in Peterhead an. Wir haben ca. 100 Seemeielen zurück gelegt und den Motor 25 Stunden laufen lassen.

Die Marina von Peterhead liegt zwischen Chemikalienlager für die Offshore Ölplattformen etwas abseits der Stadt. Peterhead ist ebenfalls ein ehemaliger Fischerort, der irgendwie versucht zu überleben.