24.5.- 25.5.: von Grimsby nach Bridlington

Nun soll es endlich weiter gehen – mit einem Spaziergang verabschieden wir uns vom alten Grimsby.

Wir wollen nach Scarborough und fragen den Hafenmeister John, was wohl der beste Abreisezeitpunkt wäre. „Best time to start is 3 o’clock in the night.“ Drei Uhr nachts? John erklärt uns die Vorteile, die Schleuse hat dann die Tore geöffnet, wir kommen mit dem Strom den Humber raus und mit der dann einsetzenden Flut gut in Richtung Norden weiter.

Wir treffen auf dem Steg noch Wayne, der auch in Richtung Scarborough zusammen mit seinem 80 jährigen Freund segeln will. Die wollen tatsächlich auch um 3 Uhr starten. „I may wake you up.“, sagt Wayne halb im Scherz.

So um den richtigen Abreisezeitpunkt bestätigt, stelle ich noch den Wecker auf meinem tablet und auf dem Mobiltelefon und dann heisst es schlafen.

Früh klingelt es neben mir und ich greife das Mobiltelefon zuerst und bin genervt. Es ist erst 1:30 Uhr. Geklingelt hat’s auf dem tablet. Das hatte noch die deutsche Zeit und da ist es halt eine Stunde später.

Zeiten sind verwirrend beim Segeln. Die Bordzeit (unverändert die Zeit der Abreise) soll bei Eintragungen ins Logbuch verwendet werden. Mit den Leuten vor Ort kommuniziert man über die Ortszeit. Refferenzstände von Hochwasser und Niedrigwasser sind in UTC angegeben, also nicht vergessen, die im Reeds für jeden Ort angegebene Abweichung des Hochwassers zum Refferenzort (oft Dover) zu ermitteln und dabei Ortszeit und universal time code mit zu berücksichtigen. Alles klar?

Mir fehlt hier die Routine. Das zeigt sich noch später, als ich beim Einlaufen in den nächsten Hafen eigentlich ausreichend Wasser erwarte, wir bei der Hafeneinfahrt uns plötzlich gegen ablaufendes Wasser durch den Schlamm wursteln müssen um wenige Minuten später mitten in der Fahrspur des Fischereihafens stecken zu bleiben.

In der Nacht zur Abreise nehme ich im Halbschlaf den zweiten Wecker nicht mehr ernst. Ich überhöre ihn einfach. Als aber ein Motorgeräusch an unserem Schiff vorbeizieht, bin ich plötzlich wach. Das muss Wayne sein, der wollte mich doch Wecken. Ein Blick auf das Uhrenchaos bestätigt, wir haben den frühen Zeitpunkt verpasst.

Jetzt heißt es Schiff in Tagesbetrieb umbauen, schnell noch einen Tee für unterwegs kochen, zum Frühstück gibt es eine Scheibe trockenes Knäckebrot, dieses Mal soll das Essen bitte drin bleiben. Rolf, meiner neuer Mitsegler, hält sich an den Rat, möglichst wenig vor solch einer Reise zu essen.

Gegen 4:15 Uhr brechen wir dann auf. Die Schleusentore sind noch geöffnet, wir fahren zügig durch. War da ein rotes Signal?

Draußen dämmert es bereits. Es geht mit ablaufendem Wasser flott den Humber abwärts. An der Mündung in die Nordsee müssen wir das Verkehrstrennungsgebiet durchqueren. Das ist für mich jedesmal eine Herausforderung. Wie schnell sind die großen Pötte, wie schnell kommen wir quer zum Strom durch? Wir müssen etwas warten, um eine geeignete Lücke zu finden.

Wir laufen unter Motor, da der Wind mal wieder aus zu nördlicher Richtung kommt. Der Wellengang ist außerhalb das Mündungsgebietes beachtlich und eine Herausforderung für unsere Mägen. Aber wo nix drin ist, kann nichts rauskommen. Das scheint dieses Mal zu funktionieren, bei meinem Mitsegler unterstützt durch Tabletten. Die schneller wirkenden Kaugummies sind noch unten im Schiff, aber da will heute keiner runter, auch nicht, um eine Kleinigkeit zu holen.

Rolf L. guter Dinge für diesen Segeltag.

Schon gar nicht, um dort auf Toilette zu gehen, einfach unmöglich, bei dem Geschwanke Schwimmweste ausziehen, irgendwo festhalten, Segeljacke ausziehen, Wolljacke ausziehen, nur um überhaupt an die Segellatzhose heranzukommen. Dann noch die richtige Welle abpassen, die Tür zur Nasszelle Öffnen, festhalten oder mit Kopf und Körper irgenwie einklemmen, man soll ja den Horizont anschauen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, also durchs Toilettenfenster luschern, der Kopf ist ja noch festgeklemmt, da die Hände für das Öffnen der Latzhose benötigt werden … Jetzt hinsetzen, pinkeln, die Ventile für Wasserzulauf und Toilettenablauf noch während des Pinkelns öffnen. Spätestens jetzt klärt sich, warum das Waschbecken gleich neben der Toilette montiert ist und man im Sitzen eine kurze Entfernung zum Mund hat … Danach das ganze Prozedere bitte Rückwärts. Ohne Schwimmweste kommt mir keiner  ins Cockpit.

Bei sonnigem aber kaltem Wetter und Windstärke 5 mit Böen von 6 ist es oben im Cockpit auch ganz schön.

Nein, heute geht das alles nicht, die Blase muss halt durchhalten. Da ist es von Vorteil, dass wir gar keinen Tee von unten hochholen können.

Erst am Nachmittag können wir zwischenzeitig die Segel setzen. Wir prüfen Bridlington als alternatives Reiseziel, immerhin 3 Stunden schneller zu erreichen.

Meinen Berechnungen müsste da aber jetzt, am späten Nachmittag, kein Wasser im Hafen sein, der fällt trocken. Auf der Karte sehen wir vor Flamborough Head einen Ankerplatz vor der Steilküste eingezeichnet. Das könnte die Lösung sein und ist auch nicht mehr weit. Zumindest brauchen wir nach 14 Stunden Segelzeit eine Pause, müssen mal was Essen und trinken und die Blase entleeren. Der eingezeichnete Ort vor der Steilküste klingt vielversprechend, vielleicht schützt uns die Steilküste vor dem Wind.

Was als Ankerplatz eingezeichnet ist, ist am heutigen Tage eher ein zügiges Plätzchen, immerhin sind hier wenig Wellen. Nicht zu nah an den Hummerkörben, die durch farbige Bälle markiert sind, lassen wir den Anker runter und gönnen uns diese Pause.

Es gibt einen Apfel, Banane, Knäckebrot und lauwarmen Tee. Kein Gourmetrestaurant, aber als Frühstück am späten Nachmittag gerne angenommen. Wir überlegen, ob wir noch 3 Stunden bis Scarborough weiterfahren oder 1 Stunde zurück bis Bridlington. Da müsste jetzt wieder Wasser sein. Die Entscheidung ist schnell getroffen. Wir wollen nach Briglington.

Scarborough mag uns einfach nicht. Schon das zweite Mal, dass dieser Ort sich uns verweigert. Wir entschließen uns, Scarborough bei der Vorbeifahrt in den nächsten Tagen die kalte Schulter zu zeigen.

Jetzt nur noch den Anker lichten.  Was schon in der Schlei meine körperlichen Möglichkeiten arg strapaziert, scheint hier unmöglich zu sein. Ich kann die Ankerleine gerade noch eben am Boot sichern, bevor sie uns davon rauscht. Der Wind zieht das Boot und der Anker scheint am Boden festzukleben. Mit Muskelkraft alleine ist da nicht zu machen.

Wir verlegen die Ankerleine nach hinten auf die Winsch und fixieren das Ende am Boot.  Vorne können wir sie jetzt lösen. Und jetzt darf gekurbelt werden, gerne abwechselnd, die Kurbelei ist schon anstrengend.  Ich dachte immer, Ankerwinschen vorne in der Nähe des Ankers ist unsportlich, womöglich noch mit einem Elektromotor. Heute frag ich mich, ob es außerhalb der Schlei überhaupt erlaubt werden sollte, ohne eine elektrische Ankerwinsch einen Anker zu setzen.

Nach einer viertel Stunde wird die Ankerkette sichtbar. OK, wir führen die Kette über die eine Winsch und um die gegenüberliegende Winsch wickeln wir die Ankerleine, um dort weiter kurbeln zu können.  Schließlich erreicht die Kette auch diese Winsch.  Der Anker ist immer noch nicht sichtbar. Die Kette können wir nicht über die Winsch sichern, was tun? Zeitweilig versuchen wir mit vereinten Kräften, an der Kette zu ziehen, mit bescheidenem Erfolg. Nachdenken. Wir nehmen eine Lifeline, befestigen die an einer Seite an der Kette und können jetzt das Tau der Lifeline um die Winsch legen und wieder kurbeln. Wenn das Kettenglied mit dem Ende der Lifeline die Winsch erreicht hat, sichern wir die Kette mit einer 2. Lifeline auf der gegenüber liegenden Winsch und Haken die erste Lifeline aus dem Kettenglied aus, um sie ca. 50 cm tiefer wieder in der Kette einzuhaken.

So arbeiten wir uns Kettenglied um Kettenglied bis zum Anker vor. Der hängt jetzt sichtbar am Schiff. Er hängt unter großer Spannung an einem grünen Seil. Mit dem Bootshaken ziehen wir das Seil vom Anker.

Ankersalat, nach 2 Stunden Arbeit endlich geborgen. Der Anker hatte sich in einem Seil fest gehakt, was vermutlich im Zusammenhang mit den oberirdischen Hummerkörben hängt.

Nach 2 Stunden Schwerstarbeit haben wir den Anker geborgen und ins Cockpit gelegt.  Erschöpft starten wir den Motor und nehmen Fahrt auf nach Bridlington. Dort sollte noch ausreichend Wasser im Hafen sein.

Bei der Hafeneinfahrt strömt uns das Wasser entgegen.  Die Kaimauer sieht verdächtig nass aus. Plötzlich sitzen wir bei 1,20 cm auf.  Backbord scheint das Wasser tiefer zu sein. Wir schlürfen uns dahin, und tatsächlich, wir können wieder Fahrt aufnehmen.

Im Hafenbecken ist dann Schluss. Mitten in der Fahrrinne kommt das Boot zum stehen.   Wir sind umgeben von Fischtrawlern.  Die werden sich wohl ganz früh melden, wenn die raus wollen. Wir ziehen uns die schweren feuchten Segelklamotten aus und wollen es uns im Schiffsinneren gemütlich machen.

Inzwischen ist es dunkel geworden.  Plötzlich fängt Zero an, sich sanft auf einige Trawler zu zu bewegen. Wieder rausgehen, mit Fendern den Schiffsrumpf sichern und den Motor anschmeißen.

So schnell wie das Wasser gegangen ist, kommt es auch wieder. Wir können das Schiff im Hafenbecken bewegen. Wir machen an einer ausgedienten Holzkonstruktion fest, um im Ort vielleicht noch was zu essen zu finden.

Ein freundlicher Hafenmeister kommt zu unsrem Schiff und teilt uns mit, dass wir hier nicht bleiben können. „You have to go to the pontons, when there is enough water inside the harbour. I will be back at 23:30 and bring you to the pontons.“

Im Ort finden wir leider nichts mehr zu essen aber einen schönen ersten Eindruck. Zur verabredeten Zeit kommt der Hafenmeister und fährt mit auf unsrem Schiff zu den Pontons. Wir schieben uns mal wieder durch den Matsch, weil das Wasser gerade soeben einen Stand erreicht hat, bei dem wir nur mit dieser ungewöhnlichen Fahrweise zum Ziel kommen.

Nach 22 Stunden harter Segelarbeit fallen wir erschöpft ins Bett. Morgen wollen wir ausspannen.

Eine Antwort auf „24.5.- 25.5.: von Grimsby nach Bridlington“

  1. _Segelbootcamp_mit_Hinderniszulage(n)_
    Hut ab. Ihr werdet noch zu den perfekten Segelabenteurern
    … bei soviel boot („buht“, boht?) können die Daheimgebliebenen (moi aussi) nur neidvoll erblassen – last ’s langsam angehen! (*_*)
    Hier am Rhein gibbet zwar eine tropische Nacht nach der anderen, eine davon sogar mit „Japantag Feuerwerk“, aber was in Rolf’s Blog „abgeht“ ist viel farbiger – Tolle Schreibe!
    Ohren steif – Magen festhalten – c u in Aberystwyth
    Reinhold

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