Segelsommer 2018: Segeln rund um England: Zahlen und Fakten

2462 Seemeilen haben wir auf dieser Tour von Stexwig in der Schlei, einmal rund um England und zurück bis Amsterdam zurück gelegt. Nicht eingerechnet die Rückreise ab Amsterdam, die ich selbst aus familiären Gründen nicht mehr durchführen konnte. Vielen Dank an Ralf und Nicola, dass ihr das Boot sicher von Amsterdam nach Stexwig zurück gebracht habt!

Die Route auf der Karte wurde vom Kartentool Locus Map mitgetrackt. Die mitten in der Nordsee endende Strecke konnte unsere erste Unterbrechung des Direktweges nach England auf der holländischen Insel Terschelling nicht nachverfolgen, da das tablet zeitweise seine Funktion eingestellt hat.

Jedem Segler wurde es in der ersten Tage seiner Reise irgenwann mal schlecht. Jeder 2. Segler hat dabei „die Fische gefüttert“. Ich selbst hatte das nicht von mir erwartet. Ich dachte, ich sei dagegen abgehärtet. Von wegen. Wenn das Schiff vor dem Wind fährt und Wellen von achtern das Schiff unterlaufen, wird es einfach wacklig. Die beste Medizin dagegen: nichts oder nur sehr wenig essen, dann kommt auch weniger wieder raus.

Segeln um England ist ja auch ein bischen geprahlt. Waren wir ein Segelschiff mit Motor oder ein motorisiertes Schiff mit Segel? Jedenfalls hat die Maschine ganz schön oft geknattert, entweder weil der Wind von vorne kam und kreuzen allein uns nicht ausreichend schnell voran gebracht hat. Oder der Wind war eingeschlafen oder gar nicht erst aufgewacht. Der Motorstundenzähler war jedenfalls fleißig und hat auf der Gesamtstrecke bis Stexwig zurück 470,5 Stunden gezählt!

Das Wetter war uns in diesem Jahrhundertsommer gnädig. Auf dieser Reise hatten wir innerhalb von 3 Monaten nur 2-3 Stunden Regen – der Klimawandel lässt grüßen.

Dem Leser wünsche ich viel Spaß und Anregung beim Stöbern durch diesen Blog.

Wer die Welt lieber in mag-ich und mag-ich-nicht einteilt, findet visuelle Anregungen bei meinem Instagram Acount: https://www.instagram.com/RolfMenzinger/

Hier gibt es auch Bilder zur Atlantik Querung, zu Arbeiten am Schiff und zu einer Reise nach Kopenhagen und Schweden.

Die Vorbereitung

Bereits im Herbst 2017 befasse ich mich mit dem Gedanken, meine Tochter Melea in Wales zu besuchen. Welche Routen dahin gibt es? Durch den Kanal gegen den Wind? Ist meine 8,40m lange/kurze Scalar ausreichend für diese Tour dimensioniert?

Das Seglerbuch „England immer links“, einer Umrundung gegen den Uhrzeigersinn eines pensionierten Lehrers aus Bayern gibt mir erste Anregungen. Immerhin hat er die Tour mit einer Bavaria 707 gemacht, dieser Boottyp war mein erstes eigenes Boot, mit dem ich auf der Schlei und nach Dänemark gesegelt bin. Da ist die Scalar doch schon etwas seetüchtiger, was die Länge und den Schnitt des Bootes betrifft. Bei den Wanten bin ich mir da schon nicht mehr so sicher.

Ein Ergebnis der ersten Lektüre: der englisch sprachige Reeds Almanach ist Pflichtprogramm. Ok, den bestelle ich dann mal beim Versandhandel.

Die Planung

Für die Planung habe ich unterschiedliche Tools eingesetzt:

  • OpenCPN für die Verwaltung der Routen und Tracks und für eine gewisse Grobplanung; aus OpenCPN habe ich dann die Routen per kml und per gpx exportiert und in Google Maps / MyMaps importiert und von dort für WordPress als IFrame zur Verfügung gestellt.
  • Locus Map für Detailplanungen
  • Marine Navigator für Detailplanungen insbesondere an der schottishen Ostküste
  • Orux Maps wurde parallel getestet

 

Von Stexwig nach Aberystwyth in Wales

Es sind einige Pausen eingeplant.

Zur Routenplanung einige Anmerkungen:

  • Nach der Passage von Holland nach England habe ich sicherheitshalber eine knappe Woche Pause eingeplant.
  • In Edingburgh einige Tage Pause zum Erkunden der Stadt.
  • In Edingburgh müssen wir entscheiden, ob wir über den Caledonian Kanal Schottland kreuzen (1 Woche länger) oder den kürzeren Weg duch den Forth-Clyde Kanal nutzen. Der kürzere Weg hat den Nachteil, dass der Mast gelegt werden muss.
  • Bis zum Ziel könnte es etwa 40 Tage dauern.
  • Für schlechtes Wetter werden wir weitere Hafentage benötigen.

 

Geplante Abreise in Stexwig: 6. Mai (Rolf und Cousine Eva)
Wechsel in Brunsbüttel : 9. Mai  / 10. Mai

Brunsbüttel ab: 10. oder 11. Mai (Rolf und Ralf)

Wechsel ca. 19./20. Mai: Ralf reist zurück

Hier ein Tourvorschlag für die neue Teamsituation:

Tourvorschlag
22.5.  Rolf L. reist an in Edinburgh
25.5. ab Edingburgh in Richtung Inverness
29.5. an Inverness
1.6. ab Inverness
8.6. an Belfast

(ggf. fällt der Schlenker über Belfast aus, um bei der Abreise besser einen zuvor gebuchten Flug zu erreichen. Außerdem kann ungeeignetes Wetter dazu führen, dass wir diesen Teil der Tour streichen müssen).

12.6. ab Belfast
15.6. an Liverpool
17.6. Check Out Rolf L.

20.6. ab Liverpool
21.6. an Conwy
22.6. Check In Melea in Conwy
23.6. ab Conwy
25.6. an Aberystwyth

 

 

Impressum

Der Reeds ist da

Wenige Tage später kommt der Reeds Almanach per Post.

Die Vorbereitung wird jetzt konkreter. Fast 1000 Seiten mit nützlichen Infos müssen erst einmal gesichtet werden. Beim Blättern zeigen sich auch die Wissenslücken von Navigation und Seemannschaft, die ich noch schließen muss: z.B. was bedeutet die Bezeichnung eines Leuchtturms? Wie weit ist dieser sichtbar? Wann zeigt er welche Farben? Wie errechne ich zügig Ebbe und Flut an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Datum?

Natürlich gibt es da auch Software, die einen unterstützt. Aber es muss auch per Hand funktionieren, z.B. wenn kein Strom an Bord ist. Gelegentlich arbeite ich einige Seiten des hilfreichen Almanachs durch.

Einige Highlights zur Tour – links zum mentalen Mitsegeln

Die Tour um England, durch Schottland und über die Scilly Inseln zurück durch den Kanal, über Amsterdam und das IJsselmeer bietet neben dem zu erwartenden feuchten englischem Wetter einige Highlights und Herausforderungen, die sich mir erst im Laufe der Planung erschlossen haben. Einige Herausforderungen meide ich, will sie aber dennoch erwähnen, vielleicht nehme andere Segler diese Herausforderungen an.

Quer durch Schottland führt der Caledonian Kanal von Inverness nach Fort William. Viele Schleusen und wunderschöne Landschaften erwarten uns:
https://www.scottishcanals.co.uk/canals/caledonian-canal/

Wir passieren die inneren Hebriden und werden voraussichtlich den Crinan Kanal ansteuern und passieren.  https://www.scottishcanals.co.uk/canals/crinan-canal/

Die Seestraße von Corryvreckan versuchen wir zu vermeiden. Sie liegt zwischen den Inseln Jura und Scarba. Wer wissen will, warum ich da nicht soo gerne entlangfahre, schaut sich diese Videos an: https://youtu.be/U5SKPVPIZ3I

In der Umgebung wohnte George Orwell und stellte sein Werk 1984 fertig. Er entkam  knapp dem Whirlpool von Corryvreckan. Kein Wunder, dass er dabei eine düstere Vision der Zukunft entwickelte …

Ein tolles 3d Modell das Strudels findet sich hier: https://youtu.be/aEehfAvvvFY

Es soll vor allem während der Springflut gefährlich sein. Man kann das Naturspektakel auch als touristische Sensation inszenieren: https://youtu.be/vbnCgoTVyes

Ebenso will ich die Passage zwischen Anglesey und dem Festland meiden. Da strudelt das Wasser in einer sehr engen felsigen Passage. Nur während 45 Minuten um das Hochwasser herum hat man eine Chance, diese Passage gut zu überstehen. Das können dann mal ambitioniertere Segler machen. Denke ich mir zu Beginn meiner Planungen. Hinterher gibt es doch gute Gründe, diese Passage zu nutzen, was bei guter Vorbereitung auch problemlos möglich ist.

Um so mehr freue ich mich auf die die Scilly Inseln auf dem Rückweg von Wales. Die 140 Inseln liegen im Golfstrom ca. 30 Seemeilen vor Lands End im Atlantik. Sie gehören zur Grafschaft Cornwall. 6 der Inseln sind bewohnt. Durch den Golfstrom gibt es ein sehr moderates Klima, Palmen und fast eine fast karibische Anmutung von türkisfarbenen Küsten und weißen Sandstränden:

https://www.visitislesofscilly.com

Am Tag vor der Abreise

Das meiste ist fertig geworden:

  • das Holz im Cockpit, das die Last der Winsch (bzw. der Genua) trägt, wurde geklebt und mit einem Keil gerichtet
  • die neue Genua ist rechtzeitig fertig geworden und bereits angeschlagen
  • am letzt möglichen Tag wurde der spät bestellte Stromadapter (englisches Format auf europäische CEE Stecker) geliefert
  • das AIS Interface konnte nicht komplett getestet werden, da ggf. kein Schiff in der Nähe war, das AIS  Signale aussendet
  • Polster und Teppiche wurden nass gereinigt

Jetzt musste „nur noch“ aufgeräumt werden und Proviant verstaut werden:

Was soll alles in eine Backskiste reinpasst:

  • 5l und 10l Reservekanister
  • 2-teilige Kuchenbude
  • Persenning für die Genua
  • Taue, Seile, Fallen: irgendwie will man die ja auch wiederfinden

Da das passieren der Schleusen 15m lange Seile erfordert, habe ich noch einige Seile zusätzlich beschafft. Am Ende konnte ich alles verstauen.

Jetzt fehlt noch der Proviant, den wir in mehreren Schiebkarrenladungen bis zum Schiff bringen.

Jetzt nur noch den Proviant sinnvoll verstauen

Irgendwie habe ich alles untergebracht.

Morgen wollen wir gegen 12:00 Uhr ablegen.  Das Wetter ist für die nächsten Tage stabil sommerlich. Besser kann eine Reise kaum beginnen.

2. Tag: von Kappeln bis in den Nord Ostsee Kanal

Wir sind bis Kappeln gesegelt, um hier eine Lösung für das Problem des sich lösenden Auges der Genuaschot zu finden.

Ein wunderschöner Morgen in Kappeln

Der Tag kann bei der Aussicht nur wunderschön werden.

Die erste Idee kam vom Hafenmeister: wir sollten doch mal mit dem Segelmacher im Ort Kontakt aufnehmen. Der erklärte sich auch bereit, die Schot im Laufe des Tages abzuholen und das Auge am abend zu reparieren. Leider zu spät für uns, da wir noch wenigstens bis Kiel weiter kommen wollen.

Silva Schröder von Edelstahl & Meer bei der Reparatur unserer Vorschot.

Wir fragen im Hafenladen Edelstahl und Meer. Zu unserer Überraschung sagen die Betreiber zu. „Das dauert ungefähr eine Stunde.“ Wir sind überglücklich – mit solch einer spontanen Reaktion hatten wir nichr gerechnet!

Im Laden finden wir noch Material, dass wir für die weitere Reise benötigen. Nach einer knappen Stunde bekommen wir die reparierte Schot zurück! Vielen Dank den beiden

engagierten Betreibern von  www.edelstahlundmeer-kappeln.com !

Die Tour in Richtung Kiel läuft super – bestes Wetter bei 4 Windstärken – am nachmiitag erreichen wir die Schleuse in den Nord Ostsee Kanal. Zusammen mit einem Schlepper, ein weiteres Bötchen und einem Riesenfrachter im Rücken durchqueren wir die Schleuse.

In der Schleuse zum Nord Ostsee Kanal.

In einer Wartezone lassen wir ein für uns riesiges Schiff passieren.

Wir ankern in einem kleinen See am Nord Ostsee Kanal ca. 12 km hinter Kiel.

20.5. – 24.5.: Grimsby

Nach der anstrengenden Überfahrt müssen wir uns erst einmal erholen und einige Dinge an Bord reparieren. Aber zunächst einmal wollen wir Grimsby erkunden.

Grimsby wurde von einem dänischen Fischer gegründet und entwickelte sich bis in die 30ger Jahre zum größten Hafen von England. Bis in die 60ger Jahre konnte man den Hafen von Fischerboot zu Fischerboot überqueren. Doch der Hafen bzw. der Zufluss Humber neigt zur Versandung und der Hafen ist nur tidenabhängig zu erreichen. Den Niedergang beschleunigten ab den 60ger Jahren die „Kabeljaukriege“, in denen Island seine Fischereigrenzen von ursprünglich 3 Seemeilen stufenweise auf 200  Seemeilen vergrößerte. Grimsby verlor dadurch wichtige Fanggebiete.

Verfallende Fabrikgebäude geben Zeugnis einer anderen Epoche von Grimsby.

Inzwischen liegt die Hafeninfrastruktur ziemlich danieder. Die Stadt kommt mit dem Rückbau nicht hinterher. Ganze Straßenzüge des alten Grimsby warten auf die Abrissbirne.

Industrieromantik verklärt diesen vollzogenen Niedergang. Erhalten geblieben ist fischverarbeitende Nahrungsindustrie. Nebenan gibt es aus der Fabrik einen Detailverkauf von gefrorenem Lachs – aber weder hier noch sonstwo in der Umgebung der Marina finde ich fish & ships. Die wären jetzt bald mal dran für mich als Englandtouristen.

Im Kontrast zum traurigen Stadtbild sind die Menschen, denen wir begegnen sehr nett und vor allem hilfsbereit. Reichtum und Hilfsbereitschaft sind ja oft umgekehrt proportional.

Da ist zunächst einmal John, der Hafenmeister, der uns hilft wo immer wir es nötig haben. Ralf wird bald zurückreisen und John bietet an, ihn zum Bahnhof zu bringen. „No problem!“

Zunächst einmal müssen wir uns noch um das Schiff kümmern. Der Keilriemen quietscht beim Start schon seit Tagen länger, als ich es erwartet habe. Schließlich hatte ich vor der Reise den Keilriemen vorsorglich erneuert. Dabei habe ich mir Mühe gegeben, den Riemen ordentlich zu spannen.

Beim Austausch des Keilriemens habe ich es beim Spannen des Riemens wohl übertrieben.

Leider wohl etwas zu bemüht. Jedenfalls ist die Spannvorrichtung gebrochen, eine Befestigungsschraube der Lichtmaschine hat sich gelöst und diese hängt nur noch an einer Schraube und am Keilriemen selbst.

Ich bau das defekte Teil aus und bitte John um Rat. „Go to Harris and Garrod. They may help you.“ Von Ralf hatte ich mich vorsorglich bereits verabschiedet, da ich eher damit rechne, von Pontius zu Pilatus geschickt zu werden.

Die Werkstatt Harris  and Garrot ist gleich um die Ecke. Ich weiß nicht, ob die das Teil neu bestellen oder vielleicht reparieren können.

Beim Eintreten ins Büro erkläre ich kurz mein Problem und zeige das defekte Teil. „No problem, I will do it now.“ sagt Harris oder Garrot. Ich kann mir so schlecht Namen merken.

Die Soundanlage ist das spirituelle Zentrum des Betriebes.

Die Werkstatt ist Lebensort. Wohl über 100 Jahre alt. Ein deutscher Arbeitsschutzprüfer würde hier einen Herzinfarkt zum Opfer fallen. Zentraler Punkt ist eine Musikanlage, aus der Rockmusik trötet. Die Maschinen wirken alt aber funktionstüchtig. Die Menschen vermitteln den Eindruck, als würden sie gerne hier arbeiten.

Haroris oder Garrot beim Schweißen des gebrochenen Keilriemenspanners.

Selbstverständlich komme ich mit und darf Zeuge werden, wie das Kleinteil geschliffen, gerichtet, geklammert und geschweißt wird.  Dann nochmal kurz ein Endschliff – nach 10 Minuten habe ich eine professionell reparierte Aluminium Schiene für die Lichtmaschine in der Hand.

Funktionierendes Chaos bei der Werkbank.

Das Ganze soll dann auch nichts kosten – gerne spende ich hier für die Kaffeekasse. Es ging so schnell, dass ich Ralf zum Bahnhof begleite. Natürlich will John kein Geld von uns für diesen Service. Es ist eigentlich kein Service – ein Austausch einer Dienstleistung gegen Geld, sondern eine Hilfe, die gerne gegeben wird.

Schon nach 30 Minuten bin ich wieder am Schiff – glücklich dieses Problem gelöst zu haben. Ich kann Ralf noch bis zum Bahnhof begleiten. Sollen wir ein Taxi bestllen? „No problem, I will bring you to the station.“ Sagt John. Geld dürfen wir ihm nicht dafür geben.

24.5.- 25.5.: von Grimsby nach Bridlington

Nun soll es endlich weiter gehen – mit einem Spaziergang verabschieden wir uns vom alten Grimsby.

Wir wollen nach Scarborough und fragen den Hafenmeister John, was wohl der beste Abreisezeitpunkt wäre. „Best time to start is 3 o’clock in the night.“ Drei Uhr nachts? John erklärt uns die Vorteile, die Schleuse hat dann die Tore geöffnet, wir kommen mit dem Strom den Humber raus und mit der dann einsetzenden Flut gut in Richtung Norden weiter.

Wir treffen auf dem Steg noch Wayne, der auch in Richtung Scarborough zusammen mit seinem 80 jährigen Freund segeln will. Die wollen tatsächlich auch um 3 Uhr starten. „I may wake you up.“, sagt Wayne halb im Scherz.

So um den richtigen Abreisezeitpunkt bestätigt, stelle ich noch den Wecker auf meinem tablet und auf dem Mobiltelefon und dann heisst es schlafen.

Früh klingelt es neben mir und ich greife das Mobiltelefon zuerst und bin genervt. Es ist erst 1:30 Uhr. Geklingelt hat’s auf dem tablet. Das hatte noch die deutsche Zeit und da ist es halt eine Stunde später.

Zeiten sind verwirrend beim Segeln. Die Bordzeit (unverändert die Zeit der Abreise) soll bei Eintragungen ins Logbuch verwendet werden. Mit den Leuten vor Ort kommuniziert man über die Ortszeit. Refferenzstände von Hochwasser und Niedrigwasser sind in UTC angegeben, also nicht vergessen, die im Reeds für jeden Ort angegebene Abweichung des Hochwassers zum Refferenzort (oft Dover) zu ermitteln und dabei Ortszeit und universal time code mit zu berücksichtigen. Alles klar?

Mir fehlt hier die Routine. Das zeigt sich noch später, als ich beim Einlaufen in den nächsten Hafen eigentlich ausreichend Wasser erwarte, wir bei der Hafeneinfahrt uns plötzlich gegen ablaufendes Wasser durch den Schlamm wursteln müssen um wenige Minuten später mitten in der Fahrspur des Fischereihafens stecken zu bleiben.

In der Nacht zur Abreise nehme ich im Halbschlaf den zweiten Wecker nicht mehr ernst. Ich überhöre ihn einfach. Als aber ein Motorgeräusch an unserem Schiff vorbeizieht, bin ich plötzlich wach. Das muss Wayne sein, der wollte mich doch Wecken. Ein Blick auf das Uhrenchaos bestätigt, wir haben den frühen Zeitpunkt verpasst.

Jetzt heißt es Schiff in Tagesbetrieb umbauen, schnell noch einen Tee für unterwegs kochen, zum Frühstück gibt es eine Scheibe trockenes Knäckebrot, dieses Mal soll das Essen bitte drin bleiben. Rolf, meiner neuer Mitsegler, hält sich an den Rat, möglichst wenig vor solch einer Reise zu essen.

Gegen 4:15 Uhr brechen wir dann auf. Die Schleusentore sind noch geöffnet, wir fahren zügig durch. War da ein rotes Signal?

Draußen dämmert es bereits. Es geht mit ablaufendem Wasser flott den Humber abwärts. An der Mündung in die Nordsee müssen wir das Verkehrstrennungsgebiet durchqueren. Das ist für mich jedesmal eine Herausforderung. Wie schnell sind die großen Pötte, wie schnell kommen wir quer zum Strom durch? Wir müssen etwas warten, um eine geeignete Lücke zu finden.

Wir laufen unter Motor, da der Wind mal wieder aus zu nördlicher Richtung kommt. Der Wellengang ist außerhalb das Mündungsgebietes beachtlich und eine Herausforderung für unsere Mägen. Aber wo nix drin ist, kann nichts rauskommen. Das scheint dieses Mal zu funktionieren, bei meinem Mitsegler unterstützt durch Tabletten. Die schneller wirkenden Kaugummies sind noch unten im Schiff, aber da will heute keiner runter, auch nicht, um eine Kleinigkeit zu holen.

Rolf L. guter Dinge für diesen Segeltag.

„24.5.- 25.5.: von Grimsby nach Bridlington“ weiterlesen

26.5.: von Bridlington nach Hartlepool

Wir haben wieder eine lange Strecke von fast 60 Seemeilen vor uns. Um 4:15 heißt es: Leinen los. Irgendwie kriegen wir das hin, um 3:00 Uhr wach zu werden. Wir haben uns am Steg am Abend zuvor wieder zufällig mit Wayne über den Abreisezeitpunkt abgestimmt. Dieses Mal tauschen wir Telefonnummern aus. Wayne will Richtung Blyth fahren, wo er wohnt. Sein Segelboot haben wir noch nicht gesehen. Wenn wir in Blyth sind, sollen wir ihn anrufen. Seine Schwester würde gerne für uns kochen.

Das Frühstück besteht aus einer Scheibe trockenen Knäckebrots. Als wir loskommen, ist Wayne bereits unterwegs.

Vielleicht sollte ich beruflich „Fastensegeln“ anbieten, das wäre bestimmt der Renner. Gesegelt wird nur auf der Nordsee oder dem Atlantik.  Zum Wellcome Paket gehören unauffällige kompostierbare Tüten für Notfälle. Spätestens ab dem 2. Tag sind alle mit dem Knäckebrot einverstanden.

Als wir den Hafen verlassen, wird schnell klar, dass es mal wieder ohne Motor gar nicht geht. Schon wieder bläst uns der Wind aus Norden um die Ohren. Auf dem AIS System sehen wir ein Schiff, das einige Meilen vor uns auf der gleichen Strecke fährt. Das muss Wayne sein, und er scheint ein ordentlich ausgestattetes Schiff zu haben, mit AIS und für uns nicht einholbar.

Nach dem Kap von Flamborough wird die Nordsee offener und die Wellen entfalten ihre volle Kraft. Die Scheibe Knäckebrot bleibt wo sie ist. Zero kämpft tapfer mit den Wellen. Für die Höhe kommen sie ganz schön hochfrequent.

Allmählich flauen die Wellen ab. Wir zeigen diesesmal Scarborough die kalte Schulter. Zu oft wurden wir hier abgelehnt.

Scarborough aus der Ferne gesehen.

Unterwegs begegnet uns in gleicher Fahrtrichtung ein Segelboot. Ein bärtiger Mann steht am Steuer. Alle Segel sind gesetzt obwohl der Wind von vorne kommt und alle Fender hängen draußen.

Das muss ein Einhandsegler sein, dem es zu aufwendig ist, die Segel ständig an die Fahrbedingungen anzupassen. Die Fender werden sowieso im nächsten Hafen wieder gebraucht.

Lange fahren wir mit diesem Segler im Pulk. Ist es ein Einhandsegler?

Während wir stumpf unter Motor fahren, kreuzt der Segler fleissig mal hinter uns, mal überholt er uns. Ok, wir probieren es auch mal mit dem Segel setzen.

Heute darf es unterwegs auch schon mal ein Apfel sein.

Stundenlang fahren wir halbwegs im Pulk, bis der Segler eine andere Richtung einschlägt und bald am Horizont verschwunden ist.

Am Abend kommen wir im Hafen von Hartlepool an. Inzwischen haben wir gelernt, uns per Funk bei einer Schleuse oder einer Marina anzumelden. Das funktioniert auch diesmal, nur dass uns die Marina mitteilt, dass sie uns erst um 0:30 Uhr schleusen kann. Die Zufahrt zur Marina ist außerhalb des Industriehafens und die hat jetzt mal wieder kein Wasser.

So ein Ärger. Nächstes Mal schaue ich mir die Hafeninformationen im Reeds noch genauer an. Es bleibt uns  nichts anderes übrig, als provisorisch an einem Fischtrawler fest zu machen und zu warten. Wir nutzen die Zeit zum kochen. Ein Gläschen Wein darfs trotz nächtlichem Umzug in die Marina sein.

Inzwischen haben sich hier mehrere Boote versammelt, die jetzt nicht in die Marina können. Ein weiteres kommt hinzu. Es wird von einem Rettungsboot der Coast Guard eskortiert bzw. geschleppt.

Das Boot entpuppt sich als der Segler, der uns stundenlang begleitet hat. Und der vermutete Einhandsegler vom Typ bärtiger Aussteiger entpuppt sich als Wayne! Die ganze Zeit über sind wir im Pulk gefahren, ohne ihn zu erkennen. Sein 80 jähriger Freund ist auch mit dabei, nur saß der oft im Inneren des Schiffes. Wir hatten Wayne einfach nicht mehr auf dem Schirm, als das von seinem Schiff vermutete AIS Signal aus unserer Reichweite verschwand.

Beide sind auffallend blass. Was war passiert und wieso wird er von Seenotrettern eskortiert?

Wayne’s Schiff hatte einen elektrischen Brand im Motorraum. Ein Kabel hatte keine feste Verbindung, war heiß geworden und hatte gebrannt. Alles war voll schwarzer Rauch, als Wayne die Motorklappe öffnete, so berichtet er. Ein Ausschalten der Elektrik beendet den Schwelbrand, aber mit diesem Motor ist das Schiff nicht mehr manövrierfähig. Ein Ersatzaußenborder verhinderte, dass das Schiff auf Grund gespült wurde.

Wayne stand sichtlich unter Schock. Wir bieten unsere Hilfe an, laden sie zu uns aufs Schiff ein, aber sie wollen dort bleiben und am nächsten Tag die Reparatur organisieren.

Noch in der Nacht fahren wir weiter zur Marina von Hartlepool, gehen dort durch die Schleuse und legen um 1:20 Uhr schließlich an dem uns angewiesenen Platz an. Wayne hat sein Schiff am nächsten morgen mit Hilfe eines Schiffselektrikers wieder flott gekriegt.

Eine Lichtkanone (mir fällt kein besseres Wort hierzu ein) weist den Booten den Weg zur Hafeneinfahrt der Marina und ersetzt in der Nacht einen Leuchtturm. Je nach Einfahrtswinkel werden 3 Farben gezeigt, rot, weiß und grün.

Beim Schleusen auf der Reise. Die hydraulischen Schleusen lassen das Wasser direkt durch das teilweise öffnen der Tore in die Schleuse ein. Schäumt mitunter wie eine Waschanlage.

Die Marina von Hartlepool.

Neben Superyachten liegen auch schwimmende Wracks in der Marina

Wie kommt der röhrende Hirsch in das Hafengelände von Hartlepool? Wer die Antwort findet, bitte einen Kommentar hinterlassen.

27.5. – 28.5.: von Hartlepool nach North Shields am River Tyne

Wir lassen es heute langsamer angehen und verlassen den Hafen um 14:00 Uhr. Der Wind kommt weiterhin streng aus Nord. Die Tour heute hat ca. 20 Seemeilen.

Das quirlt so schön. Schleuse in Hartlepool.

Unter Motor mit gereffter Genua kreuzen wir weiter gen Norden. Bis zum Ende des heutigen Tages war der Motor auf dieser Tour dann 125 Stunden im Einsatz.

Vielleicht sollte ich den Blog umbenennen in „Unter Motor rund um England“. Wir haben auf der Tour schon über 80 Liter Diesel hinzu getankt. Ökologisch kann man das nicht mehr nennen.

Der seit Tagen ununterbrochene Nordwind ist ungewöhnlich für diese Region. Dafür hatte ich auf der Tour bisher auch keinen einzigen Regentag.

Die Tagestour verläuft ohne technische Herausforderungen. Abends denken wir, dass wir es bis Blyth geschafft haben, und als Wayne anruft, erneuert er seine Einladung und bietet er uns an, uns am kommenden Tag zum Essen bei seiner Schwester abzuholen.

Wir können Wayne noch nicht zusagen, da wir mächtig in Verzug mit unserer Zeitplanung sind. Die wollen wir am Abend überarbeiten und prüfen, ob wir wohl möglich Plan B in Kraft setzen, der anstelle durch den Caledonean Canal durch den Forth and Clyde Canal führt. Dieser Kanal zwischen Edingbourgh und Glasgow würde uns eine Woche Zeit ersparen.

Es scheint auch eine Entscheidung zwischen eher gemütlichem Urlaubssegeln und der mehr sportlichen Variante zu sein, größere Strecken zu bewältigen.

Wir entscheiden uns für die gemütlichere Variante. Bei der Entscheidung spielt auch mit, dass wir sehr gerne die Einladung in eine englische Familie annehmen würden und Wayne uns von Anfang an sehr sympathisch ist.

Wir sagen am nächsten morgen zu und müssen dabei gestehen, dass wir gar nicht in Blith sondern am River Tyne in der Royal Quai Marina liegen. Die Vectorkarte ist wohl so konfiguriert, dass auf dem Display die Ortsnamen nicht angezeigt werde. Für Wayne kein Problem, er will uns dann abends an der Marina abholen.

Wir liegen am königlichen Quai in der Marina. Zumindestens die neuen Sanitärräume sind königlich. Abgetrennte Einzel- oder Familienkabinen mit Toilette, Waschbecken und Regendusche.

Ich muss jetzt nur noch organisieren, wie der für den Forth and Clyde Canal der zu legende Mast auf dem Schiff gelagert wird. Wir brauchen dort vor Ort Unterstützung vielleicht von einem Zimmerer oder Tischler. Hierzu rufe ich bei der angegebenen Nummer der Scottish Canals an, um um Unterstützung zu bitten.

„The Forth and Clyde Canal is closed all over this year. We have technical problems …“ . Welche technischen Probleme vorhanden sind, kann ich aus dem schottischen Englisch nicht verstehen, was mir bei meinem Anruf bei der Kanalverwaltung aus dem Mobiltelefon entgegen kommt. Wäre ja gut gewesen, solch einen Hinweis auf der offiziellen Webseite der Scottish Canals zu platzieren. Das habe ich jedenfalls nicht gesehen.

Diesen Schock müssen wir erst einmal verarbeiten. Mal schauen, was das für die folgenden mitreisenden Segler bedeutet.

Wir beschließen erst einmal, wenn möglich kürzere Tagestouren zu planen, so zwischen 20 und 30 Seemeilen. Wir brauchen dann nicht mitten in der Nacht aufzustehen und sollten dann auch nicht anderntags so erschöpft sein, dass wir wiederholt einen Ruhetag einlegen müssen.

Zur Einladung schmeißen wir uns in Schale. Naja, was so an Schale in einem 8,40 m Boot mitgenommen werden kann. Diese Mütze (ein Geschenk von Dorothea) kommt erstmalig zum Einsatz.

Das Abendessen ist phantastisch, das Waynes Schwester Lesly gezaubert hat. Es gibt einen recht persönlichen Austausch. Ein ungeplantes Highlight dieser Reise.

Wayne bringt uns zurück zu unserem königlichen Hafen. Ich falle todmüde ins Bett und bin sofort eingeschlafen.

29.5. – 30.5.: vom River Tyne nach Amble

Zu humaner Zeit geht diese Tour um 8:40 Uhr Ortszeit los. Woher kommt der Wind? Na klar, aus dem Norden. Wieder laufen wir unter Motor, unterstützt durch die Genua. Oder umgekehrt, je nach Standpunkt des Beobachters.

Wir haben uns Amble als Ziel ausgeguckt, ca. 20 Seemeilen entfernt, also eine lockere Tour. Dieses Mal stimmen auch unsere Infos zur Strömung und zum Hochwasser in Amble.

So sieht das Tracking (rote Linie) der letzten beiden Tage aus. Mühsam arbeiten wir uns Meile um Meile gen Norden.

Während der Fahrt rutscht der Radarreflektor an der Hinterwante runter (heißt doch so, oder?), jedenfalls am hinteren Stahlseil, das den Mast mit dem Rumpf verbindet. Das ist ungünstig, denn sofern der Reflektor überhaupt etwas nützt, wir jedenfalls nicht mehr auf  fremden Radargeräten aus einiger Entfernung sichtbar sind. Das ist bei Nebel bzw. schlechter Sicht nicht gewünscht.

Wir befestigen den Reflektor an der Dirk, die normalerweise den Baum fixiert, da wir heute das Großsegel und damit den Baum nicht mehr benötigen. Hierfür müssen wir für die nächsten Tage eine andere Lösung finden.

Die Fahrt verläuft ansonsten unspektakulär.

Eine kleine Insel vor der Hafeneinfahrt nach Amble.

Wir melden uns per Funk in der Marina an, dessen Büro um 17:00 Uhr schließt. Sie hinterlegen unsere Liegeplatzdaten sowie die Zugangskarte in einer blauen Box am Besuchersteg. Als wir ankommen, finden wir uns gut zurecht.

Am nächsten Tag gehe ich ins Hafenbüro und frage nach Öl für den Simering der Welle. Dort hatte ich versehentlich 2 Takter Öl eingefüllt und ein Anruf beim Verkäufer bestätigt, ich brauche normales Öl. Ich brauche nur eine winzige Menge, die bekomme ich aus Restbeständen und gleich dazu einen kleinen Behälter zur Entsorgung des falschen Öls.

Die Hafenmeisterin und ihr Mann sind wieder super freundlich. Ich frage nach einer Gastlandflagge, gerne würde ich diese unter der holländischen Gastlandflagge aufhängen. Nein, das haben sie leider nicht. Ob ich denn schon am Fahnenmast die deutsche Flagge bemerkt habe. Diese hätten sie extra für uns hochgezogen.

Ich weiß nicht, ob ich rot werden soll. Inzwischen ist meine Scham für mein Herkunftsland kleiner geworden. Aber mit einer Identität anhand einer Nation habe ich immer noch ein Problem.

Jedenfalls ist es ein freundlicher Akt des Willkommen heißens und ich nehme dieses dem Hafenmeister Paar gerne ab und gestehe, dass mir die Flagge noch nicht aufgefallen war.

Unten links wurde extra für die ZERO eine deutsche Flagge gesetzt.

Am frühen Nachmittag fängt es an zu regnen. Der Wind pfeift fast in Sturmstärke. Ich fühle mich nahe einer Erkältung leicht angeschlagen und ziehe es vor, eine weitere Nacht zur Erholung in Amble zu bleiben.

Am Donnerstag soll der Wind auf südwestliche Richtung drehen! Vielleicht gelingt uns dann mal wieder ein längerer Schlag.

1.6. -2.6.: von Eyemouth nach Peterhead

In Eyemouth haben wir den Hafenmeister noch mal gebeten, die Sperrung des Forth and Clyde Canals zu verifizieren. Im Internet ist die mir mitgeteilte Störung immer noch nicht kommuniziert. An der angegebenen Telefonnummer erreicht er über Stunden niemanden.

Als wir zahlen wollen, versucht er, über einen anderen Kanal an Informationen zu gelangen. Der Kanal sei gesperrt, es seien zwei Brücken defekt, teilt es uns schließlich mit. Eine ungewöhnliche Form der Kommunikation, solch eine Information nicht über das Netz zu verbreiten.

Bei der Abreise produzieren wir schnell noch mal Hafenkino. Das Auslaufen wird bei Niedrigwasser zum Auflaufen. Und zwar mitten auf dem Fahrwasser. „Left, left, there it’s deeper.“ Ja gut, hätte ich auch gerne vorher gewusst.

Wir lassen noch einen größeren Katamaran vorbei, der eine Tauchgruppe an Bord hat. Das Wasser strömt zum Meer. Und wir liegen auf einer Sandbank. Trotz voller Schubkraft bewegt sich das Schiff kein Stück. Die ausgediente Fantadose am Grund des Wassers bewegt sich auch nicht.

Die Fischer im Katamaran nebenan sind auffällig gut gelaunt. Eis schleckende Familien gucken von oben auf unser Schiff. Gestikulierende verrentete Segler geben ihre Kommentare. Und wir machen den Motor aus. Das Wasser wird wieder kommen.

Der Film dauert über einer Stunde und jetzt heißt es, nur noch schnell tanken und dann kann es schon losgehen. Nur noch die 10 m hohe Leiter an der Kaimauer hochklettern, naja, es wachsen auch unten kaum scharfkantige Muscheln an der Leiter und der Grünbelag geht sicher wieder ab von den Händen.

Oben angekommen treffe ich unsren Hafenmeister wieder, der mit dem Fahrrad von seinem Büro ums Hafenbecken geeilt ist, um die Tankstelle zu bedienen. Also die Leiter wieder runter klettern, der Hafenmeister lässt die Zapfpistole vorsichtig am Schlauch runter und es tropft auch nur ganz wenig Dieselrest aus dem Schlauch. Dann wieder hochklettern, im Hafenbüro zahlen und eine Erklärung unterschreiben, dass man den steuerreduzierten rot eingefärbten Diesel auch bitte nur auf dem Wasser verbraucht. Den Diesel wieder abzusaugen und in ein Auto umzufüllen wäre Steuerhinterziehung und das wollen wir ja nicht.

Dann geht es endlich los.

Heute ist ein besonderer Tag in Nordengland.  Es ist sommerlich, kein Regen und kein Nebel, die Sonne scheint durch den leichten Dunst. Es windet auch kaum, sodass wir wieder mal den Motor anstellen dürfen. Wenn wir anlegen, werden wir 25 Motorstunden auf der Uhr haben.

Wir genießen die Sonne und freuen uns über warme Füße. Die hatte ich bisher eher selten. Unser elektrischer Steuermann kommt wie jeden Tag zum Einsatz und wir haben Zeit zur Muße.

Konzert für die Fische.

Wir stellen uns auf eine längere Tour ein, irgendwann müssen wir auch Seemeilen reißen, um die weiten Entfernungen zu überwinden. Auf jeden Fall wollen wir heute die Bucht vor Edinbourgh überqueren.

Der erste Hafen, den wir anlaufen können, ist Arbroath. Es ist bereits dunkel, als wir einlaufen wollen.

So wie der Tag gestartet ist, scheint er auch zuende gehen zu wollen. Im Schlamm. Richtig, wir sitzen mal wieder fest. Das Wasser läuft zwar gerade wieder auf, aber dieses Mal sind wir zu schnell gewesen. Wir müssten ca. noch 1,5 Stunden warten, um in die Hafeneinfahrt rein zu kommen. Die Zeit können wir doch besser zum Weiterfahren nutzen.

Unter Motor wühlen wir uns wieder aus der Hafeneinfahrt raus. Wir hatten bereits die Überlegung, in den nächsten Tagen eine Nacht durchzufahren, um schneller voran zu kommen. Dann ist das eben heute die Generalprobe. Einer muss sich unten entspannen können, während der andere oben den Überblick behält.

Schnell ist unten der Salon zur Nachtkoje umgebaut.

Während Rolf L. das Ausruhen probiert, halte ich Kurs auf Montrose, dem nächst gelegenen Hafen. Ordnungsgemäß melde ich mich per Funk bei der Hafenaufsicht an und bitte um Zugang, um im Hafen, der auch beim Reeds aufgeführt ist, zu übernachten. „Sorry, thats not possible, we are a commercial port and we have ship movements and can’t offer you a berth.“ Das ist der zweite Hafen, bei dem wir keinen Liegeplatz finden.

Der nächste brauchbare Hafen scheint Aberdeen zu sein. Dann müssen wir die Nachttour also schon heute durchführen. Die Generalprobe wird zur Lifeperformance. Die Bedingungen stimmen, der Himmel ist klar und wir laufen unter Motor, da der Wind für unser Ziel nicht zu gebrauchen ist. Alles gut unter Kontrolle zu halten, sofern der Motor durchhält.

In der Morgendämmerung auf den Weg nach Aberdeen.

Die Nacht verläuft gut und wir wechseln nach 4 Stunden die Rollen. So finden wir beide unsere Entspannungsphasen.

Am Morgen erreichen wir Aberdeen. Dieses Mal melden wir uns zunächst nicht bei der Hafenaufsicht. Plötzlich erfolgt auf dem Notrufkanal ein Aufruf an ein Segelschiff in Hafennähe zu Aberdeen, sich mit der Hafenaufsicht in Verbindung zu setzen. Da sind wohl wir gemeint.

„We are a commercial port and you are not allowed to enter the harbour.“ Der dritte Hafen, der uns nicht haben will.

Zwangsläufig kommen wir jetzt dazu, Seemeilen zurück zu legen.

Auch tagsüber hat jeder mal seine Ruhephase.

Am Ende des 2. Tages legen wir gegen 16.30 Ortszeit in Peterhead an. Wir haben ca. 100 Seemeielen zurück gelegt und den Motor 25 Stunden laufen lassen.

Die Marina von Peterhead liegt zwischen Chemikalienlager für die Offshore Ölplattformen etwas abseits der Stadt. Peterhead ist ebenfalls ein ehemaliger Fischerort, der irgendwie versucht zu überleben.

3.6.: von Peterhead nach Fraserburgh

Am morgen checken wir nach dem Motormarathon erst einmal die Maschine.

Wir haben gut zwischen den Chemikalientanks geschlafen.

Beim Öffnen des Motorraumes bemerken wir, dass sich unterhalb des Motors inzwischen eine beachtliche Menge an Seewasser gesammelt hat. Am Motor scheinen in dieser Höhle Salzkristalle zu wachsen. Ich befürchte schlimmes, kann denn soviel Wasser auslaufen, ohne dass Druck aus dem Motor hinzukommt? Ist denn die Zylinderkopfdichtung noch ok?

Ich konferiere mit Reinhold, einem Mitsegler für die Rückreise mit technischem Sachverstand. Die defekte Zylinderkopfdichtung scheint nicht plausibel, da weder Diesel aus den Abgasen mit ausgeführt wird, auch keine Rußpartikel im Motorraum beim Testbetrieb sichtbar sind, noch nennenswerte Ölrückstände sich in der Wasserlake unter dem Motor zeigen.

Die Montageklappe des Impellers, ein von einer Welle angetriebenes innen liegendes Gummiteil, das mit kleinen Flügeln Seewasser durch den äußeren Kühlkreislaufes des Motors schaufelt, ist knochentrocken.

Aber dahinterliegend, um diese Welle herum, tropft es. Wie das neu abzudichten ist, muss sich ein Fachmann anschauen.

Das Wasser nehmen wir mit einer Rolle Haushaltspapier auf, um am nächsten Tag zu schauen, welche Mengen da bei Motorbetrieb entstehen.

Um 13:00 Uhr Ortszeit geht die Reise weiter. Inzwischen haben wir gelernt, uns auch bei der Abreise bei der Hafenaufsicht per Funk abzumelden.

Die Arbeit am Boot hat dazu geführt, dass wir uns um die Gezeiten gar nicht kümmern konnten. Schließlich hat unsere Zeitdisposition uns den Ablegezeitpunkt vorgegeben.

Der Wind kommt mal wieder aus dem Norden.  Irgenwie müssen wir um dieses Horn, dieses Loch (Landzunge) herumkommen. Wenn die Küste zum Westen abfällt, können wir einen besseren Kurs fahren.

Aber erstmal heißt es: hart am Wind kreuzen. Es fällt schwer, Höhe zu gewinnen. Unser guter Pinnensteuerugsassistent kommt immer wieder aus dem Takt. Auch manuell ist es schwierig, die Geschwindigkeit zu halten und Höhe zu gewinnen.

Nach einer Wende und nach wenigstens 1 Stunde sehe ich aufs Display der von uns verwendeten Navigationssoftware und bin schockiert. Der aufgezeichnete Kurs zum Westen verläuft parallel in wenig Abstand zum vorherigen Kurs nach Osten. Die Strömung aus Norden  setzt uns genau um den Raum zurück, den unsere Kreuzen Aktion gewonnen hat. Da hätten wir genauso gut länger schlafen können.

Aber wir müssen den Knick um die Ecke schaffen …

Wir nehmen den Motor zu Hilfe und irgendwann ändert der Tidenstrom auch seine Richtung. Jetzt gehts schneller voran und um 23:00 Uhr haben können wir endlich in Fraserburgh anlegen.

Fraserburgh bietet einen Hafen direkt in der Altstadtkulisse.

Der Hafen von Fraserburgh liegt mitten in der Stadt. Wir liegen an einem Ponton, kommen gut an Land. Die Toiletten sind in der Seemannsmission. Im Fernsehraum im Durchgang zu der Toillette mit Dusche halten afrikanische und asiatische Seeleute Kontakt zu ihren Angehörigen und Freunden.

Wir gehen noch ein Bier trinken und werden von Gordan gleich zu einem weiteren Bier eingeladen. Die Schotten sind nett zu uns. Mit guter Bettschwere gehen wir in unsere Kojen.

5.6.: von Buckie nach Inverness

Wir legen früh in Buckie ab. Wir haben bis Inverness ca. 50 Seemeilen vor uns.

Heute haben wir die perfekte Route für den nord-östlichen Wind.

Wellenberge und Wellentäler von hinten wiegen das Boot recht sanft.

Es wird der perfekte Segeltag. Der Wind kommt direkt von hinten und wir setzen die Passatsegel. Die Wellen laufen unter dem Schiff hindurch. Sie sind ca. 2,50 m hoch, haben aber eine langsame Frequenz. Sanft wird das  Schiff gehoben und gewogen. Wir rauschen mit 6 Knoten in Richtung Inverness.

Dabei passieren wir auf der Höhe von Lossimouth den nördlichsten Punkt dieser Reise.

Ab jetzt geht es in Richtung Süden.

Der Sund vor Inverness verengt sich, der Wind nimmt zu. Vor der Brücke von Inverness bergen wir die Segel.

Die Brücke vor Inverness.

Gleich hinter der Brücke laufen wir den Hafen von Inverness gegen 19:30 Uhr an. Der Hafen ist das erfreuliche Kontrastprogramm zum Hafen von Buckie. Perfekter Service von der ersten Minute an. Warme und saubere Sanitärräume.

Wir unternehmen noch einen Spaziergang nach Inverness. Eine tolle Stadt, die eigentlich einen mehrtägigen Aufenthalt rechtfertigen würde.

Die Altstadt von Inverness ist ganz schön herausgeputzt.

Am Abend falle ich erschöpft in meine Koje.